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Lyrify.me

Vor dem Sturm. Zweiter Band. Siebtes Kapitel. by Theodor Fontane Lyrics

Genre: misc | Year: 2015

            Siebtes Kapitel
               Nach Tisch

    Der Kaffee wurde im Spiegelzimmer genommen. Als auch die Herren hier erschienen, um die nächste halbe Stunde wieder in Gesellschaft der Damen zu verplaudern, fanden sie die Szene anders, als sie erwarten durften. Renate, von einem leichten Unwohlsein befallen, hatte sich zurückgezogen; statt ihrer kam ihnen Berndt von Vitzewitz entgegen, der, eben von Berlin her eingetroffen, die Aufforderung seiner Schwester, der Gräfin, an dem Schlußakte des Diners teilzunehmen, lächelnd abgelehnt hatte. Er war alt genug, um das Mißliche solchen verspäteten Eintretens aus Erfahrung zu kennen.

    Lewin begrüßte den Vater. Auch die anderen Gäste gaben ihrer Freude Ausdruck, am lebhaftesten Bamme, der, ohne jede Spur von Kleinlichkeit, seine Schätzung anderer nicht davon abhängig machte, wie hoch oder niedrig er seinerseits taxiert wurde. Nur auf das, was er seine »gesellschaftlichen Gaben« nannte, war er eitel. Und nach dieser Seite hin, wenn auch mit Einschränkungen, ließ ihn Berndt von Vitzewitz gelten.

    Das Spiegelzimmer in seinem zurückgelegenen Teile wurde von drei rechtwinklig zueinanderstehenden Estraden eingenommen, die, mit Blumen und Topfgewächsen dicht besetzt, einen hufeisenförmigen Separatraum bildeten, der sich in den Trumeaux der gegenübergelegenen Fensterpfeiler spiegelte. Innerhalb dieses Raumes, um einen länglichen, auf vier Säulen ruhenden Marmortisch, der fast die Form eines Altars hatte, nahmen die Gäste Platz und waren, während die kleinen Tassen präsentiert wurden, alsbald in einem Gespräch, das an Lebhaftigkeit die kaum beendigte Tischunterhaltung noch übertreffen zu wollen schien. Berndt hatte das Wort, alles war begierig, von ihm zu hören, er hatte den Minister gesprochen.

    »Schlagen wir los?« fragte Bamme.

    » Wir? Vielleicht. Oder wenn ich zu entscheiden habe: gewiß! Aber die Herren im hohen Rate? Nein. Am wenigsten der Minister. Er treibt Diplomatie, nicht Politik. Unfähig, feste Entschlüsse zu fassen, sucht er das Heil in Halbheiten. Er spricht von ›Negociationen‹, ein Lieblingswort, das ihm noch aus alten Zeiten her auf den Lippen sitzt. Wir haben nichts von ihm zu erwarten. Er läßt uns im Stich.«

    »Ich glaubte dich anders verstanden zu haben«, bemerkte die Gräfin. »Er sei dir entgegengekommen.«

    »Entgegengekommen! Ja, persönlich, und solange es sich um Worte handelte. Unter vier Augen schlägt er jede Schlacht. In der Idee sind wir einig: der Kaiser muß gestürzt, Preußen wiederhergestellt werden. Aber wie? Da werden die Herzen offenbar. Er will es auf dem Papier ausfechten, nicht mit der Waffe in der Hand, am grünen Tisch, nicht auf grüner Heide. Er hat keine Ahnung davon, daß nur ein rücksichtsloser Kampf uns retten kann. Rücksichtslos und ohne Besinnen. Noch haben wir das Spiel in der Hand; aber wie lange noch! Es fehlt ihm das Erkennen der Wichtigkeit dieser Tage. Jede Stunde, die unbenutzt vorübergeht, schreit gen Himmel und klagt ihn an als einen Schädiger und Verräter. Nicht aus bösem Willen, aber aus Schwäche.«

    »Und schilderten Sie ihm die Stimmung des Landes?« fragte Drosselstein.

    »Gewiß und mit einer Dringlichkeit, die jeden anderen fortgerissen hätte. Aber er! Als ich ihm unsere Gedanken eines Volksaufstandes entwickelte, als ich ihn beschwor, das Wort zu sprechen, erschrak er und suchte sein Erschrecken hinter einem Lächeln zu verbergen. ›Rüsten wir!‹ rief ich ihm zu. Das gefiel ihm. Ich hatte jetzt selber das Wort gesprochen, durch das er mich in geschickter Ausnutzung, worin er Meister ist, zu beschwichtigen hoffte. Er trat mir näher und sagte mit geheimnisvoller Miene, meine Worte wiederholend: ›Vitzewitz, wir rüsten.‹ Aber auch dieses Nichts war ihm schon wieder zuviel. ›Wir rüsten‹, fuhr er fort, ›ohne höchstwahrscheinlich dieser Rüstungen zu bedürfen, Napoleon ist herunter, er muß Frieden machen, und wir werden ohne Blutvergießen zu unserem Zwecke kommen. Englands und Rußlands sind wir sicher.‹ Ich war starr. Wir trennten uns in gutem Vernehmen, scheinbar selbst in Einverständnis, während doch jeder die Kluft empfand, die sich zwischen unseren Anschauungen aufgetan hatte. Als ich die Treppe hinabstieg, sagte ich mir: ›Also noch nicht belehrt! Die Zeit noch nicht begriffen! Napoleon noch nicht kennengelernt!‹«
    Drosselstein, Bamme, Krach, den Unmut Berndts teilend, schüttelten den Kopf; Medewitz aber, der seiner Unbedeutendheit gern ein Loyalitätsmäntelchen umhing, glaubte jetzt den Moment zur Geltendmachung seiner ministeriellen Rechtgläubigkeit gekommen.

    »Ich kann Ihre Entrüstung nicht teilen, Vitzewitz, Ihre Hitze reißt Sie fort. Die Kuriere und Stafetten, die beinahe stündlich aus allen Hauptstädten Europas eintreffen, – wissen wir, was sie bringen? Nein. Sie, wir alle, sehen die Dinge von einem Standpunkt mittlerer Erkenntnis aus. Der Minister aber hat jenen Überblick über die Gesamtverhältnisse, der uns fehlt. Er ist gut unterrichtet, ein Netz unserer Agenten umspannt Paris, der Kaiser ist auf Schritt und Tritt beobachtet. Wenn Seine Exzellenz ausspricht: ›Er ist herunter, er muß Frieden machen‹, so finde ich keine Veranlassung, dem zu widersprechen. Er ist Minister. Er muß es wissen, und verzeihen Sie, Vitzewitz, er weiß es auch.«

    Berndt lachte. »Es ist mit dem Wissen wie mit dem Sehen. Ein jeder sieht, was er zu sehen wünscht, darin sind wir alle gleich, Minister oder nicht. Seine Exzellenz wünscht den Frieden, und so erfindet er sich einen friedensbedürftigen Kaiser. Das ›Netz seiner Agenten‹ ist ihm dabei mit entsprechenden Berichten gefällig; Kreaturen widersprechen nicht. Ein heruntergekommener Napoleon! O heilige Einfalt! Er ist rühriger denn je und keck und herausfordernd wie immer. An den österreichischen Gesandten trat er während des letzten Empfanges heran. ›Es war ein Fehler von mir, dies Preußen fortbestehen zu lassen‹, so warf er hin, und als der Angeredete, den diese Worte verwirren mochten, vor sich hinstotterte: ›Sire, ein Thron...‹, unterbrach er ihn mit einem ›Ah bah‹, und setzte übermütig hinzu: ›Was ist ein Thron? Ein Holzgerüst, mit Sammet beschlagen‹.«

    Bamme lächelte; die Gräfin aber bemerkte ruhig: »Darin hat er nun eigentlich recht, il faut en convenir. Wir machen zuviel von solchen äußerlichen Dingen und sehen Erhabenheiten, wo sie nicht sind. Wer so viele Throne zusammengeschlagen hat, kann nicht hoch von ihnen denken; ça se désapprend. Ich liebe ihn nicht, aber in einem hat er meine Sympathien, il affronte nos préjugés. Er fährt durch unsere Vorurteile wie durch Spinneweb hindurch.«

    »Das tut er«, erwiderte Berndt, »und es ist nicht seine schlimmste Seite. Aber von dir, Schwester, eine Zustimmung dazu zu hören, überrascht mich. Denn wem verdanken wir diesen Fetischdienst, in dem auch wir drinstecken, diese tägliche Versündigung gegen das erste Gebot: ›Du sollst nicht andere Götter haben neben mir‹, wem anders als deinen gefeierten Franzosen, vor allem jenem aufgestreiften Halbgott, dem auch du die Schleppe trägst: Louis quatorze.«

    »Ce n'est pas ça, Berndt«, sagte die Gräfin mit einem Anfluge von Heiterkeit, dem sich abfühlen ließ, wie erfreut sie war, einen Irrtum berichtigen zu können. »Es ist das Gegenteil von dem allen. Ich hasse diese Doktrinen, et ce Louis même, ce n'est pas mon idole. Sachez bien, ich liebe die französische Nation, aber ihren grand monarque liebe ich nicht, weil er seine Nation in seinem pomphaften Gebaren verleugnet. Denn das Wesen des Französischen ist Scherz, Laune, Leichtigkeit. In diesem Ludwig aber spukt von mütterlicher Seite her etwas Schwerfällig-Habsburgisches beständig mit. Und so waren alle Bourbons. Nur einer unter ihnen, der keinen Tropfen deutschen Blutes in seinen Adern hatte, und dieser ist mein Liebling.«

    »Le bon roi Henri«, ergänzte Berndt.

    »Ja er«, fuhr die Gräfin fort, »der liebenswürdigste und zugleich der französischeste aller Könige, ein gallischer Kampfhahn, kein radschlagender Pfau, naiv, ritterlich, frei von Grandezza und gespreizten Manieren.«

    »Freier vielleicht, als einem Könige geziemt«, scherzte Berndt weiter. »Er spielte Pferd mit dem Dauphin, als der spanische Gesandte bei ihm eintrat, und Frau von Simier, nach dem Eindruck befragt, den der König auf sie gemacht habe, konnte nur erwidern: ›J'ai vu le roi, mais je n'ai pas vu Sa Majesté.‹«

    »Was du als einen Tadel nimmst oder wenigstens comme un demi-reproche, war eher als ein Lob gemeint. Jedenfalls hielt es sich die Waage. Und wie konnt' es auch anders sein? Er ruhte sicher in sich selbst und gab sich offen in seinen Schwächen, weil er den Überschuß von Kraft fühlte, den ihm die Götter mit in die Wiege gegeben hatten, in seine Wiege, die beiläufig eine Schildkrötenschale war. Er verschwieg nichts und persiflierte sich selbst in dem heiteren Darüberstehen eines Grandseigneurs. Jeder kleinste Zug, den ich von ihm kenne, entzückt mich. Er hatte die Angewohnheit, überall Sachen mitzunehmen, und versicherte mit gascognischer Schelmerei: ›Que s'il n'avait pas été roi, il eût été pendu.‹«

    Dies wurde von Krach, der sich nach Art aller Geizigen in Mein- und Deinfragen zu den rigorosesten Grundsätzen bekannte, mit so viel Indignation aufgenommen, wie die Rücksicht gegen die Erzählerin irgendwie gestattete. Er begann mit »unköniglich« und »frivol« und würde sich noch höher hinaufgeschraubt haben, wenn nicht Bamme gereizten Tones dazwischengefahren wäre: »Wer im großen gibt, mag im kleinen nehmen. Freilich erst geben; da liegt die Schwierigkeit.«

    Krach biß sich auf die Lippen, die Gräfin aber sprach verbindlich zu ihm hinüber: »Sie verkennen mich, Präsident, ich gebe Ihnen meinen Liebling in Moralfragen preis. Es sind ganz andere Dinge, die mich an ihm entzücken. Hören Sie, was Tallemant des Réaux in seinen Memoiren von ihm erzählt. Einer der Hofleute, Graf Beauffremont, wußte von der Untreue der schönen Gabriele. Er sagte es dem Könige. Dieser aber bestritt es und wollt' es nicht glauben; er liebte sie zu sehr. Der Graf erbot sich schließlich, den Beweis zu geben, und führte den König bis an das Schlafzimmer Gabrielens. In dem Augenblick, wo sie eintreten wollten, drehte sich le roi Henri um und sagte: ›Non, je ne veux pas entrer; cela la fâcherait trop.‹«

    Medewitz, der selbst Trauriges erlebt hatte, bemerkte, daß er den König nicht begreife; die Gräfin aber fuhr fort: »In dieser Anekdote haben Sie den König tout à fait. Er hielt zu dem Wahlspruch, den Franz I. in ein Fenster zu Schloß Chenonceaux einschnitt:
            Souvent femme varie
            Et fol est qui s'y fie.

    Überhaupt erinnert er an diesen König; nur übertrifft er ihn. Unser Geschlecht, in seinen Schwächen und seinen Vorzügen, ist nie besser verstanden, nie ritterlicher behandelt worden, und die Frauen aller Länder sollten ihm Bildsäulen errichten. Freilich würde es an Neidern nicht fehlen, wie sein eigenes Frankreich einen solchen erstehen sah.«

    »Einen Neider?« fragte der in der französischen Memoirenliteratur glänzend bewanderte Graf und schien durch diese Frage einen Zweifel ausdrücken zu wollen.

    »C'est ça«, fuhr die Gräfin fort, »und zwar in Gestalt seines eigenen Enkels, des ›grand monarque‹. Als die Stadt Pau ihrem geliebten Henri eine Statue errichten wollte, suchte sie bei Hofe darum nach. Ludwig XIV. sagte nicht ja und nicht nein, sondern schickte statt aller Antwort sein eigenes Bildnis. Aber er hatte den Witz der guten Bürger von Pau nicht gebührend mit in Rechnung gezogen. Diese richteten das Denkmal auf und gaben ihm die Inschrift: ›Celui-ci est le petit-fils de notre bon Henri.‹«

    »Und wie lief es ab?« fragte Rutze, der, nach Kinderart zwischen Anekdote und Erzählung keinen Unterschied machend an dem Hergange selbst ein größeres Interesse nahm als an der Pointe. Die Gräfin lächelte.

    »Es ist eine Erzählung ohne Schluß, lieber Rutze. Der König wird schwerlich von dieser Inschrift gehört, noch weniger sie gelesen haben.
Es ist immer mißlich, solche Scherze zu hinterbringen. Übrigens sorgte gerade damals der Feldzug am Rhein für Aufregungen, die das Auge des Königs nach anderer Seite hin abzogen. Es war die Erntezeit seines Ruhmes, auch seines kriegerischen. Und doch war keine Spur von einem Feldherrn in ihm. Le bon roi Henri schlug die Schlachten, le grand roi Louis ließ sie schlagen; aber Dichter und Maler sind nicht müde geworden, Olymp und Heroenwelt nach Vergleichen für ihn zu durchsuchen.«

    »Ich glaube gehört zu haben«, bemerkte Berndt, »daß er eines gewissen militärischen Talentes, wie es hohe Lebensstellungen sehr oft ausbilden, nicht entbehrte.«

    »Graf Tauentzien war der entgegengesetzten Meinung. Und ich darf annehmen, daß seine Meinung übereinstimmend mit dem Urteil des Prinzen war.«

    »Das Urteil des Königs würde mir kompetenter sein.«

    Die Gräfin schwieg pikiert, aber nach kurzer Weile fuhr sie fort: »Du weißt, Berndt, daß der König selber aussprach: ›Le prince est le seul qui n'ait jamais fait de fautes.‹ Es scheint mir darin zugestanden, daß er in der Theorie des Krieges, in allem, was Wissen und Urteil angeht der Bedeutendere war.«

    Berndt zuckte. »Wer die Praxis hat, hat auch die Theorie. Was entscheidet, sind die Blitze des Genies.«

    »Aber das Genie hat mannigfache Formen der Erscheinung. Der Prinz würde bei Hochkirch nicht überrascht worden sein.«
    »Und bei Leuthen nicht gesiegt haben. Du überschätzt den Prinzen.«

    »Du unterschätzest ihn.«

    »Nein, Schwester, ich weise ihm nur die Stelle an, die ihm zukommt: die zweite. Zu allen Zeiten ist die Neigung dagewesen, in solchen Personalfragen die Weltgeschichte zu korrigieren. Aber Gott sei Dank, es ist nie geglückt. Das Volk, allem Besserwissen der Eingeweihten, allem Spintisieren der Gelehrten zum Trotz, hält an seinen Größen fest.«

    »Aber es sollte de temps à temps diese Größen richtiger erkennen.«

    »Gerade hierin erweist es sich als untrüglich, wenigstens das unsere, das in seiner Nüchternheit vor Überrumpelungen gesichert ist. Es zweifelt lange und sträubt sich noch länger. Aber zuletzt weiß es, wo seine Liebe und seine Bewunderung hingehört. Ich habe dies in den letzten Jahren des Großen Königs, wenn Dienst oder Festlichkeiten mich nach Berlin riefen, mehr als einmal beobachten können.«

    »Ich meinerseits habe von entgegengesetzten Stimmungen gehört, und mir sind Drohreden des ›untrüglichen Volkes‹ hinterbracht worden, die sich hier nicht wiederholen lassen.«

    »Es wird auch an solchen nicht gefehlt haben. Ein gerechter König, während er sich Tausende zu Dank verpflichtet, wird von Hunderten verklagt. Aber was er den Tausenden war, das ließ sich erkennen, wenn er, von der großen Revue kommend, seiner Schwester, der alten Prinzeß Amalie, die er oft das ganze Jahr über nicht sah, seinen regelmäßigen Herbstbesuch machte.«

    Rutze, der sich solcher Besuche erinnern mochte, nickte zustimmend mit dem Kopf; Berndt aber fuhr fort: »Ich seh' ihn vor mir wie heut', er trug einen dreieckigen Montierungshut, die weiße Generalsfeder war zerrissen und schmutzig, der Rock alt und bestaubt, die Weste voll Tabak, die schwarzen Sammethosen abgetragen und rot verschossen. Hinter ihm Generale und Adjutanten. So ritt er auf seinem Schimmel, dem Condé, durch das Hallesche Tor, über das Rondell, in die Wilhelmsstraße ein, die gedrückt voller Menschen stand, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen. Er grüßte fortwährend, vom Tor bis zur Kochstraße wohl zweihundertmal. Dann bog er in den Hof des Palais ein und wurde von der alten Prinzessin an den Stufen der Vortreppe empfangen. Er begrüßte sie, bot ihr den Arm, und die großen Flügeltüren schlossen sich wieder. Alles wie eine Erscheinung. Nur die Menge stand noch entblößten Hauptes da, die Augen auf das Portal gerichtet. Und doch war nichts geschehen: keine Pracht, keine Kanonenschüsse, kein Trommeln und Pfeifen; nur ein dreiundsiebzigjähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jeder wußte, daß dieses Tagewerk seit fünfundvierzig Jahren keinen Tag versäumt worden war, und Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen regte sich in jedes einzelnen Brust, sobald sie dieses Mannes der Pflicht und der Arbeit ansichtig wurden. Chère Amélie, auch dein Rheinsberger Prinz ist eingezogen. Hast du je Bilder wie diese vor Augen gehabt oder auch nur von ihnen gehört?«

    Die Gräfin wollte antworten, aber der eintretende Jäger meldete, daß die Schlitten vorgefahren seien. So wurde das Gespräch unterbrochen. Es erfolgte nur noch eine Einladung auf Silvester, bis zu welchem Tage Baron Pehlemann hoffentlich von seinem Anfall wiederhergestellt, Dr. Faulstich aber seiner Ziebinger Umgarnung entzogen sein werde. Eine Viertelstunde später flogen die Schlitten auf verschiedenen Wegen ins Oderbruch hinein. Berndt, behufs Erledigung von Kreis- und anderen Amtsgeschäften, begleitete Drosselstein nach Hohen-Ziesar. Den weitesten Weg hatten Lewin und Renate, quer durch das Bruch hindurch. Als sie vor dem Hohen-Vietzer Herrenhause hielten, berichtete Jeetze mit einem Anflug von Vertraulichkeit, daß die »jungen Berliner Herrschaften« vor einer Stunde angekommen, aber, ermüdet von der Reise, schon zur Ruhe gegangen seien.

»Also auf morgen!« Damit trennten sich die Geschwister.