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Lyrify.me

Vor dem Sturm. Vierter Band. Fünfundzwanzigstes Kapitel. by Theodor Fontane Lyrics

Genre: misc | Year: 2015

            Fünfundzwanzigstes Kapitel
                        Wie bei Plaa

    In derselben Stunde noch war ein reitender Bote nach Berlin hin abgegangen, um dem Vater, in einigen Zeilen Berndts, die Nachricht von dem Tode seines Sohnes zu überbringen. Kein Versäumnis hatte stattgefunden. Nichtsdestoweniger ließ sich das Eintreffen des alten Geheimrats vor nächstem Abend nicht erwarten.

    Am Morgen fanden sich wie gewöhnlich alle Hausgenossen in dem Eckzimmer zusammen, nur Renate fehlte, und Hirschfeldt nahm jetzt Veranlassung, alles, was ihm Tubal als seinen »Letzten Willen« ausgesprochen hatte, zur Kenntnis Berndts zu bringen. Dieser war einverstanden damit, das Hinaufschaffen des Toten in die Kirche so weit wie möglich zu beschleunigen; was aber das Begräbnis angehe, so werde der alte Ladalinski darüber zu bestimmen haben. Darnach trennte man sich. Hirschfeldt und Bamme ritten auf eine Stunde zu Drosselstein hinüber, und Lewin ging in die Pfarre, um all sein Freud' und Leid an dieser Stelle auszuschütten. Wußte er doch, daß er hier alles sagen durfte, weil er für alles ein Verständnis fand. Und mehr als das: ein stilles Gemüt, das den Frieden geben konnte, den es selber hatte. Und nach diesem Frieden sehnte sich sein Herz.

    Um zwei Uhr mittags fuhr ein großer Leiterwagen auf das Dorf zu, einer von denen, wie man sie zur Erntezeit, mit Garben hoch beladen und einem »Baum« darüber, in die vorn und hinten geöffneten Scheunentore hineinschwanken sieht. Ein sogenannter Oostwagen. Er kam von Küstrin, und jeder Hohen-Vietzer, der ihm irgendwo begegnet wäre, hätte gewußt, daß es ein Kniehasesches Gespann war und ein Kniehasescher Knecht, der fuhr. Dieser saß auf einem etwas vorstehenden Brett und hatte beide Füße auf die Deichsel gesetzt. Auf demselben Brette, dicht hinter ihm, standen zwei Särge, der eine schwarz mit weißem Beschlag, der andere gelb und mit häßlicher blauer Verzierung. Der gelbe viel kleiner. An den schwarzen hatte sich der Knecht angelehnt und rauchte.

    »Hü!« und dabei gab er den Pferden einen Schlag. Als sie bis an die Auffahrt gekommen waren, traten Krist und Pachaly, die schon warteten, vor, um den vordersten Sarg abzuladen. Der Kniehasesche Knecht war ihnen dabei behilflich.

    »Wecke Stunn bringen se'n rupp?« fragte der Knecht, als er Kristen in den oberen Griff des Sarges einfassen sah.

    »Hüt noch, glieks.«

    »Un vörn Altar?«

    »Joa, so seggen se.«

    »Un woto vörn Altar? Dat's nich Mod' bi uns.«
    »Ick weet nich. Et is en Polscher. Un da möt et woll so sinn.«

    Damit beruhigte sich der Kniehasesche Knecht und fuhr mit dem gelben Sarge weiter die Dorfstraße hinauf, an dem Schulzenhofe vorüber. Als er bei Miekleys Mühle war, bog er in den Forstacker ein und hielt endlich vor Hoppenmariekens Haus. Hier standen alte Weiber, die den gelben, häßlichen Sarg in Empfang nahmen.

    »Kuck«, sagte die eine, »geel un blu. Dat is so wat för Hoppenmarieken.«

    »Un so kleen as en Kinnersark.«

    »Na, vun 'ne Kinner wihr se nu groad' nich.«

    »Nei, awers de Düwel is ook mal kleen west. Un wat deiht et ehr, dat se 'ne Hehlersch wihr? Se kümmt jo nu ook rupp, un se kulen ehr inn mang all de annern. Oll-Sidentopp wihr joa daför.«

    »Joa, he. He denkt ook, he kann allens.«

    Und damit brach das Gespräch ab.


    Im Herrenhause war inzwischen ein lebhaftes Treiben gewesen, auf und ab, aber wie auf Socken, und kein Wort wurde gesprochen. Um vier Uhr lag der Tote gebettet in seinem Sarge, und eine Stunde später trugen ihn sechs Träger über den oberen Korridor hin und langsam die Treppe hinunter. Als sie die letzten Stufen eben passiert hatten und über den Hinterflur fort, wo das Hausgesinde stand, auf die Halle zu wollten, sahen sie sich aufgehalten, denn Hektor lag mitten in ihrem Wege. Er hatte sich von seiner Binsenmatte her bis an diese Stelle vorgeschleppt und mühte sich jetzt, sich aufzurichten. Aber umsonst; er winselte nur, und den Augen Berndts, der sich bis dahin gehalten hatte, entstürzten Tränen. So durchschritten sie das Haus, den Hof und bogen zuletzt in den oft genannten Hügelweg ein, der zur Kirche hinaufführte. Als sie bis dicht heran waren, erglühte der Horizont im Widerschein der eben untergegangenen Sonne. Der alte Kubalke schloß auf, und eine kleine Weile noch, so stand der Tote vor dem Altar.


    Es war eben neun Uhr, als eine Chaise vor dem Herrenhause hielt, deren Ankunft, da das Stroh noch lag, von niemandem, am wenigsten von Jeetze, der ohnehin schlecht hörte, bemerkt worden war. Endlich ward es hell an den Fenstern, und gleich darauf erschien Lewin und trat an den Wagenschlag, um dem alten Ladalinski, denn er war es, beim Aussteigen behilflich zu sein. Das Aussehen des Geheimrats zeigte sich wenig verändert; seine Haltung war gerade und aufrecht, Anzug und Haar geordnet. Er fragte nach Renate, die nicht zugegen war, und folgte dann Berndt in das Eckzimmer, in dem ein hohes Kaminfeuer brannte und der Teetisch nach russischer Art, wie der Gast es liebte, hergerichtet war. Bamme und Hirschfeldt wollten sich zurückziehen, wurden aber aufgefordert, zu bleiben, ebenso die Schorlemmer. Alle setzten sich, Tee wurde gereicht und von der Fahrt gesprochen. Es sei nicht möglich gewesen, Berlin vor Mittag zu verlassen; allerhand Anordnungen hätten den Moment der Abreise hinausgeschoben.

    Unter solchem Geplauder vergingen Minuten, ohne daß des Ereignisses, das den Geheimrat hierher geführt hatte, erwähnt worden wäre. Er bat um ein zweites Glas Tee, und erst, als er auch dieses geleert und dabei den Wunsch ausgesprochen hatte, seine Weiterreise so bald wie möglich antreten zu können, sagte Berndt: »Hab' ich recht verstanden? Weiterreise?«

    Der Geheimrat nickte.
    »So werden Sie nicht unmittelbar nach Berlin zurückkehren?«

    »Nein. Ich gedenke gleich von hier aus die Leiche meines Sohnes nach Bjalanowo überzuführen. Alle Ladalinskis stehen dort. Das Leben hat seine Forderungen, aber auch der Tod. Es liegt mir daran, im Sinne meines Sohnes zu handeln, der, wie mir wohl bewußt, diesen Zug nach der Heimat hatte.«

    Hirschfeldt wollte berichtigen; Berndt aber, der den Eigensinn Ladalinskis kannte und von mancher früheren Erfahrung her wußte, daß unbequeme Mitteilungen wohl das Gemüt seines Gastes beunruhigen, aber an seinen Entschlüssen nichts ändern konnten, ergriff deshalb statt des Rittmeisters das Wort und beeilte sich, ohne weiteres seine Zustimmung auszusprechen. Hirschfeldt erriet die Absicht, und so wurde denn festgestellt, daß um neun Uhr früh die Weiterreise stattfinden und zur Überführung des Toten ein Schlitten, am besten ein Planschlitten, leicht und einspännig, beschafft werden solle. Alles regelte sich rasch und kurz, und nun erst sagte der Geheimrat, indem er sich erhob:

    »Ich wünsche meinen Sohn zu sehen.«

    »Er steht in der Kirche oben«, bemerkte Berndt. »Vor dem Altar. Es war sein letzter Wunsch.«

    »So will ich hinauf. Aber allein, Vitzewitz. Ich bitte nur um die Begleitung Ihres Küsters. Ein Alter, hoff ich.«

    Dies konnte bejaht werden, und das Gespräch, das sonst ins Stocken geraten wäre, wandte sich jetzt mit Vorliebe und Ausführlichkeit dem Umstande zu, daß es im ganzen Oderbruche kein Dorf gäbe, in dem die Leute so alt würden wie in Hohen-Vietz. Immer neue Beispiele wurden gefunden, erst der alte Wendelin Pyterke und dann Seidentopfs Amtsvorgänger, der seine diamantene Hochzeit gefeiert und drei Tage später einen kleinen Ururenkel getauft habe. Schwächehalber freilich habe er die Taufformel im Sitzen sprechen müssen. Und bei diesem Amtsvorgänger und seinem Ururenkel – dessen Existenz übrigens, wie wenn es sich um eine Unschicklichkeit gehandelt hätte, von der Schorlemmer bestritten wurde – verweilte das Gespräch noch, als Jeetze meldete, daß der alte Kubalke angekommen sei und draußen warte.

    Alle gingen ihm entgegen. Er stand in der Halle und hielt den Kirchenschlüssel und eine große Laterne in seiner linken Hand. Mit der rechten nahm er sein Sammetkäpsel ab und grüßte.

    »'s ist schon spät, Papa«, sagte Ladalinski. »Mehr Bettzeit als Kirchenzeit. Aber Ihr wißt –«

    Und damit verließen beide den Flur und traten in die mit allerhand Strauchwerk besetzten Parkgänge hinaus. Lewin und Hirschfeldt waren ihnen bis an die Hoftüre gefolgt. »Wie bei Plaa«, sagte jener und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »Aber dieser Gang ist schwerer.«

    Hirschfeldt nickte still, und beide kehrten in das Eckzimmer zurück.

    Die beiden Alten stiegen inzwischen hügelan, Kubalke zwei, drei Schritt' vorauf, um besser leuchten zu können, denn nur wenige Sterne schienen, und hier und dort waren Wurzeln über den Weg gewachsen. Als sie halb hinauf waren, hielt er, bis der Geheimrat heran war, und sagte: »Passen's Achtung, gnäd'ger Herr, hier ist Glatteis.« Und dann ins Plattdeutsche fallend, was ihm, trotzdem er Schulmeister war, aus Alter und Unachtsamkeit öfters passierte, schloß er seinen Satz: »De verdüwelten Jungens, se hebben hier 'ne Slidderboahn moakt. Un mihr as een. Se weeten nich, dat ook olle Lüd' in de Welt rummerlopen. Olle Lüd', as wie ick.«

    »Wir werden so weit nicht auseinander sein«, sagte Ladalinski, dem die Weise, wie der Alte sprach, angenehm im Ohre klang.
    »Doch, doch«, antwortete dieser und fuhr dann, ebenso unwissentlich das Hochdeutsche wieder aufnehmend, fort: »Als ich so war, wie der gnäd'ge Herr jetzt sind, Mitte Sechzig oder so, da war meine Maline noch keine zehn Monate alt, und die Eve, die ja der gnäd'ge Herr auch kennen – drüben in Guse, aber jetzt hab' ich sie wieder bei mir, denn es ist unser Nestküken – ja, das Evelchen, das war noch gar nicht geboren.«

    »Da sind Sie über achtzig, Papa?«

    »Dreiundachtzig. Das heißt nächsten dreizehnten August.«

    »... Und müssen also spät geheiratet haben.«

    »Ja, gnäd'ger Herr, das hab' ich. Das heißt, es war die zweite Frau. Als ich das erstemal auf die Freite ging, das war drei Jahr' eher, als wir die Russen hier hatten, und ich war eben erst ins Dorf gekommen... Aber da sind wir schon.«

    Und dabei trat er auf die Steinstufen des tief eingeschnittenen Portals und schloß die große Kirchentür auf, die sich nach innenhin öffnete. Sie passierten erst den Turm zwischen dem Stubbenholz und den alten katholischen Altarpuppen hin, die
zusammengefegt in der Ecke lagen, und schritten dann, an den Chorstühlen vorbei, den breiten Mittelgang hinauf, auf Altar und Kanzel zu.

    Als sie bis an die vorderste Stuhlreihe gekommen waren, wollte der Geheimrat nach links hin eintreten und sich einen Augenblick setzen; denn er bedurfte der Sammlung. Aber der alte Kubalke zog ihn hastig wieder zurück und sagte: »Nicht da, gnäd'ger Herr; das ist der Majorsstuhl.«

    Der Geheimrat sah ihn verwundert an.

    »Nicht da, gnäd'ger Herr«, wiederholte der Alte, »nicht da. Das war anno 59, und ich seh' es noch wie heute. Sie brachten ihn von Kunersdorf her, Grenadiere vom Regiment Itzenplitz, und hier legten sie ihn nieder, hier auf diese Bank. Aber er hatte das Leben satt. ›Kinder, ich will sterben‹, sagte er und riß sich die Binden ab. Und da hat er sich verblutet. Es war den 12. August, den Tag vor meinem Geburtstag.«

    Bei diesen Worten hatte der alte Kubalke den Geheimrat nach der andern Seite hinübergezogen. Die vorderste Chorstuhlreihe war hier freilich geschlossen, aber in ihrer Front lief eine schmale Bank, auf der, wenn Konfirmation war, die Einsegnungskinder ihre Plätze hatten. Darauf setzten sich jetzt die beiden Alten und hatten nun die Bahre dicht vor sich, keine drei Schritt' ab.

    Als sie sich eine Weile geruht, sagte Ladalinski: »Nun denk' ich, wollen wir den Deckel abnehmen.«

    »Noch nicht, gnäd'ger Herr. Sie müssen den jungen Herrn Sohn doch wenigstens sehen können. Und es ist ja noch so dunkel. Ein lieber junger Herr. Erst letzten Sonntag, da hab' ich ihn hier eingeschlossen mit Marie Kniehase; denn ich habe keine Augen mehr. Und als ich nach einer Viertelstunde wiederkam, da stand er hier und hatte rote Backen. Dicht neben dem Majorsstuhl. Aber die Marie war noch röter. Ich will erst die Lichter anstecken, gnäd'ger Herr.«

    Damit ging er auf den Altar zu, nahm die Wachslichter von den großen Messingleuchtern und zündete sie an. Anfangs schien es, daß sie wieder verlöschen wollten, aber zuletzt brannten sie, und der Alte, während er jetzt die Bahrdecke fortnahm und auf die Altarstufen niederlegte, sagte ruhig: »Nu, mit Gott, gnäd'ger Herr.«

    Ladalinski hatte sich erhoben und stellte sich an die eine Schmalseite des Sarges.

    »Steh' ich zu Häupten oder zu Füßen?« fragte er.

»Zu Häupten.«

    »Ich will doch lieber zu Füßen stehen.«

    Darnach wechselten sie die Plätze und hoben nun den Deckel ab, der alte Geheimrat mit krampfhaft geschlossenem Auge.

    Und nun erst sah er auf den Sohn, fest und lange, und fand zu seiner eigenen Überraschung, daß sein Herz immer ruhiger schlug. Was war es am Ende? Er war tot. Und er fühlte tief in seiner Seele, daß es nichts Schreckliches sei, nein, nein, Freiheit und Erlösung. Das Leben erschien ihm so arm, der Tod so reich, und nur ein Gefühl beherrschte ihn: »Ach, daß ich an dieses Toten Stelle wäre.«

    Er betete für ihn und für sich selbst; dann, während ihn alles traumhaft umwogte, stand er eine Minute noch und sagte dann: »Nun, Papa, wollen wir wieder schließen.«

    Der war es bereit, und sie legten auch die Bahrdecke wieder über den Sarg, ein verschossenes Stück Wollenzeug, das nur eben bis an die Tragbalken der Bahre reichte. Und siehe, das alte katholische Gefühl, wie es sich erst in Kathinka und dann zuletzt auch in Tubal geregt hatte, es wurde jetzt ebenso in dem Herzen des alten Ladalinski wieder lebendig, und er sagte, während er auf den Sarg und die ärmliche Decke deutete:

    »Es sieht so kahl aus. Was meint Ihr, ich möchte das Kruzifix nehmen und es obenauf legen. Oder glaubt Ihr, daß es Anstoß gibt?«

    »Nicht doch, gnäd'ger Herr. Das ist so recht was für ein Kruzifix. Dafür ist es ja da, für die Toten, die brauchen's. Hier unten geht es noch so; aber drüben, da fängt es an.«

    Und so nahmen sie das Kruzifix vom Altar, legten's auf die Sargdecke und setzten sich wieder, der alte Kubalke aber fuhr in zutraulichem Tone fort: »Es ist noch keine sieben Jahre her, da hab' ich es auch vom Altar weggenommen. Denn da war die Löffelgarde hier und die Marodeurs; und auch den andern war nicht viel zu trauen, wenn es was Silbernes war. Und da sagt' ich zu meiner Frau: ›Frau, wo stecken wir's hin?‹ ›Steck es in den Bettsack‹, sagte sie, aber das wollt' ich ja nicht, und so steckt' ich es in mein Kopfkissen und legte mich und wollte darauf schlafen. Aber das war auch nicht das Rechte, und ich hatte keine Ruhe, und mir war es immer, als drückt' ich auf die Wunden meines Heilands und tät' ihm weh. Da stand ich denn auf und nahm es wieder heraus und hing es an den Spiegelpfeiler. ›Mutter‹, sagt' ich, ›es ist nicht nötig, daß wir es verstecken. Und wenn das Franzosenzeug auch in unsere Kirchen einbricht, in ein armes Küsterhaus werden sie nicht einbrechen. Da suchen sie nichts. Und wenn sie doch kommen, da wird Er sich selber zu schützen und zu helfen wissen. Denn das haben wir hier herum erfahren, er läßt sich nicht spotten. Auch in seinem Bilde nicht.‹«

    Der Geheimrat hatte bewegten Herzens zugehört. Ach, wie wohl ihm diese Sprache tat und dieser kindliche Glaube. Er nahm seines Begleiters Hand und sagte: »Nun wollen wir wieder gehen.«

    Und beide standen auf; der Alte löschte die Lichter, und zwischen den Kirchstühlen hin schritten sie wieder auf den Ausgang zu. Als sie den Turm eben passierten, schlug es zehn. Der Schlag der Glocke dicht über ihnen erfrischte dem alten Ladalinski das Herz, und so traten sie wieder ins Freie.

    Es war noch dunkler geworden, die letzten Sterne fort, und Kubalke ging wieder vorauf, bis sie halben Weges an die Schlitterbahnstelle kamen.

    »Passen's Achtung, gnäd'ger Herr, hier ist das Glatteis«, sagte der Alte wie beim Hinaufsteigen und schien auch wieder von den »verdüwelten Jungens« sprechen zu wollen. Aber Ladalinski kam ihm zuvor und sagte, anknüpfend an ihr unterbrochenes Gespräch: »Sie waren zweimal verheiratet, Papa? War es nicht so?«

    »Ja, gnäd'ger Herr.«

    »Und hatten auch Kinder von der ersten Frau?«

    »'ne Tochter.«

    »Und die lebt noch?«

    »Nein, gnäd'ger Herr. Lange tot; gestorben und verdorben. 's war so der Nachlaß von der Mutter her.«

    Der alte Geheimrat sah ihn fragend an.

    »Ja, die Mutter. Das war so eine schmucke Person, und alles Mannsvolk lief ihr nach. Und da war auch ein Kandidat hier, und eines Sonntags, als sich der alte Pastor Ledderhose, der hundert Jahr' alt wurde, den Fuß ausgerenkt hatte, da stand unser Herr Kandidat auf der Kanzel und predigte, und Wendelin Pyterke, der damals unser Schulze war, sagte zu mir: ›Höre, Kubalke, der versteht's.‹ Und er verstand es auch. Aber was? Am Abend waren sie beide fort. Ins Pommersche, so nach Kammin oder Kolberg zu. Und da wurd' er Salzinspektor; aber es dauerte nicht lange, und es hat ein schlechtes Ende genommen.«

    »Und die Tochter?«

    »Die war bei mir, bis sie siebzehn war; da flog sie auch weg, und es war alles ebenso. Wie sich einer bettet, so liegt er. Aber nun ist Gras drüber gewachsen.«

    Bei diesen Worten waren sie bis an die Rückseite des Herrenhauses gekommen, und der alte Kubalke klinkte die Hoftür auf. Auf dem matterleuchteten Hinterflur trafen sie Jeetze.

    »Gute Nacht, Papa!« sagte Ladalinski. »Haben auch manches erlebt.«

    »Ja, gnäd'ger Herr. Aber Gras wächst über alles.«