Vor dem Sturm. Dritter Band. Vierzehntes Kapitel by Theodor Fontane Lyrics
Vierzehntes Kapitel
Kleiner Zirkel
Die Einladung zu Ladalinskis hatte auf sechs Uhr gelautet; der alte Geheimrat, wenn er es vermeiden konnte, liebte nicht die späten Zusammenkünfte. So war es denn hohe Zeit für Lewin, sich zu rüsten. Und er tat es; aber nicht in bester Laune. Immer wieder bestürmte ihn die seit Stunden vergebens zurückgedrängte Frage, was Kathinka mit ihrer zweiten, so rätselvoll zugespitzten Einladung eigentlich bezweckt habe, und immer wieder lautete die Antwort: »Kokettes Spiel! Sie bedarf meiner; ich bin ihr wertlos und wertvoll zugleich; sie hält mich wie den Vogel am Faden und gefällt sich darin, den Faden nicht aus der Hand zu lassen.« Das war der Grundton in seiner Betrachtung, in der nur leise Hoffnungsstimmen mitklangen.
Es schlug eben sieben vom Marien- und gleich darauf auch vom Nikolaiturm, als unser Freund in das Ladalinskische Haus eintrat.
Die Gesellschaft war schon versammelt, und zwar in dem uns bekannten kleinen Damenzimmer, das heute, wo statt der rotdämmerigen Ampel eine große und helle Astrallampe brannte, um vieles heiterer wirkte als an jenem Ballabend, der nur zwei große Momente gehabt hatte: die Mazurka und die Nachricht von der Kapitulation.
Kathinka, trotzdem sie beim Eintreten Lewins in einer intimen Flüsterunterhaltung mit der schönen Matuschka war, begrüßte den wie gewöhnlich um eine Stunde zu spät Kommenden mit ebensoviel Unbefangenheit wie Freundlichkeit, und während dieser einen Stuhl nahm, um in den aus Tubal, Bninski, Jürgaß und dem alten Ladalinski gebildeten Halbkreis einzurücken, unterließ sie nicht, über das »Zuspätkommen« der Poeten zu spötteln, das übrigens nicht wundernehmen könne, da die Unpünktlichkeit die Schwester der »Vergeßlichkeit« sei. Dem letzteren Wort gab sie nicht nur einen verstärkten Ton, sondern auch einen besondern Vertraulichkeitsausdruck, als ob sie sich dadurch noch einmal zu dem ganzen Inhalt ihres Vormittagsbilletts, das mit einem leisen Vorwurf über seine »Vergeßlichkeiten« geschlossen hatte, habe bekennen wollen. Er seinerseits unterließ jede Antwort darauf, entweder weil ihn das Spiel verdroß, oder weil er in ebendiesem Augenblicke, vom Sofa her, die beiden großen Kristallgläser der alten, auch heute wieder neben dem Fräulein von Bischofswerder sitzenden Oberhofmeisterin-Exzellenz scharf auf sich gerichtet fühlte, doppelt scharf und böse, weil er sie durch sein verspätetes Eintreffen in einem begonnenen Vortrag unterbrochen hatte. Voll Verlangen, sie, wenn irgend möglich, wieder zu versöhnen, erhob er sich von seinem Stuhl, auf dem er kaum erst Platz genommen hatte, um in etwas wirren Worten eine Entschuldigung zu versuchen; die alte Exzellenz schlug aber mit unverkennbar absichtlichem Geräusch ihre Lorgnette zusammen und lächelte hochmütig, wie um auszudrücken, daß Schweigen und Dulden um vieles schicklicher gewesen sein würde, und fuhr dann, an der Bischofswerder rücksichtslos vorbeisprechend, in ihren Mitteilungen mit schnarrender Stimme fort: »Ich wiederhole Ihnen, lieber Ladalinski, daß Seine Majestät morgen mit dem frühesten Potsdam verlassen werden. Das nächste Nachtquartier wird in Beeskow genommen, einer kleinen Stadt, die besser ist als ihr Ruf; sie hat ein ehemalig bischöfliches Schloß. Die Garden begleiten den König. Tippelskirch hat an Kessels Stelle das Kommando übernommen. Kessel bleibt in Potsdam. Seine Majestät gedenken am 26. in Breslau einzutreffen.«
»Ich empfing eben eine gleichlautende Nachricht von meinem Vater aus Hohen-Vietz«, bemerkte der in seiner Verlegenheit abermals fehlgreifende Lewin und mußte sich – da Blicke wirkungslos bleiben zu sollen schienen – nunmehr eine direkte Reprimande von seiten der alten Gräfin-Exzellenz gefallen lassen.
»Es ist nicht Art der preußischen Oberhofmeisterinnen«, erwiderte dieselbe spitz, »Nachrichten über Seine Majestät den König in Umlauf zu setzen, die noch der Bestätigung bedürfen. Es freut mich indessen, Ihren Herrn Vater so gut unterrichtet zu sehen. Ich bitte, mich ihm bei nächster Gelegenheit in Erinnerung bringen zu wollen. Seine Schwiegermutter, die Generalin von Dumoulin, war eine Jugendfreundin von mir.«
Lewin, der nicht wußte, was er aus diesen Worten machen sollte, in denen sich neben aller Überhebung doch auch wieder ein leiser Anflug von Teilnahme aussprach, hielt es für das geratenste, alles Unliebsame darin zu überhören, und verbeugte sich artig gegen die alte Gräfin, während diese mit Wichtigkeit fortfuhr: »Augereau hat strikten Befehl, sich in bestimmt vorgezeichneten Fällen, namentlich im Fall eines Aufstandes, der Person des Königs zu bemächtigen, und Seine Majestät, die seit länger als drei Wochen von diesem strikten Befehle weiß, würde sich der drohenden Gefahr schon früher entzogen haben, wenn nicht der Wunsch vorgeherrscht hätte, die bevorstehende Konfirmation des Kronprinzen, die nun gestern, wie wir alle wissen, wirklich stattgefunden hat, abzuwarten. Übrigens haben Seine Königliche Hoheit, was Ihnen, lieber Geheimrat, trotz Ihrer Anwesenheit bei der Feier entgangen sein dürfte, zur Erinnerung an diesen hochwichtigen Tag, aus den Händen Seiner Majestät einen kostbaren Ring erhalten.«
»Sans doute«, bemerkte Bninski.
»Sans doute?« wiederholte fragend und gedehnt die alte Oberhofmeisterin, der der spöttische Ton in der hingeworfenen Bemerkung des Grafen nicht entgangen war. »Warum sans doute, Graf Bninski?«
»Weil der Ring«, erwiderte dieser, »das Zeichen ewiger und unverbrüchlicher Treue ist und eine Feier in diesem Lande, am wenigsten eine kirchliche, ohne dieses Zeichen nicht wohl gedacht werden kann.«
Der Geheimrat rückte verlegen hin und her. Es war ihm im höchsten Maße peinlich, in seinem Hause, noch dazu in Gegenwart zweier Damen vom Hofe, Worte fallen zu hören, deren ironische Bedeutung trotz des Ernstes, mit dem sie vorgetragen wurden, niemandem entgehen konnte. Er sah deshalb zu dem Grafen hinüber, ersichtlich bemüht, diesen, wenn nicht zu einem Wechsel des Gesprächs, so doch wenigstens zu einem Wechsel des Tones zu veranlassen. Bninski aber ignorierte diese Bemühungen und fuhr in demselben Tone fort: »Es zählt dies zu den Eigentümlichkeiten deutscher Nation. Immer ein feierliches In-Eid-und-Pflicht-Nehmen, dazu dann ein entsprechendes Symbol, und ich darf sagen, ich würde überrascht sein, wenn dem kostbaren Ringe, den Seine Königliche Hoheit aus den Händen des Königs, seines Vaters, empfangen hat, nicht noch eine direkte Aufforderung zum Treuehalten, entweder in Form einer eingravierten Devise oder eines Bibelspruchs, beigegeben sein sollte. Etwa: ›Sei getreu bis in den Tod‹, oder dem ähnliches.«
Die alte Gräfin preßte die Lippen zusammen. Es war ersichtlich, daß sie schwankte, in welcher Art sie replizieren solle; aber sich rasch für eine versöhnliche Haltung entscheidend, sagte sie mit erzwungener guter Laune: »Ich sehe, Graf, daß Sie von dem Ringe wissen. Wenn durch Inspiration, so beglückwünsche ich Sie und uns. Der innere Rand trägt allerdings die Umschrift: ›Offenbarung Johannis 2. V. 10‹. In diesem Punkte haben Sie recht behalten; aber nicht darin, daß dieser Konfirmationsring eine Hof- oder Landessitte sei. Im Gegenteil; es ist der erste Fall der Art.«
»So wird es Sitte werden. Gute Beispiele pflegen einen fruchtbaren Boden in dem loyalen Sinn des Volkes zu finden.«
Sehr wahrscheinlich, daß die fortgesetzten Sarkasmen Bninskis doch schließlich alle friedlichen Entschlüsse der Oberhofmeisterin, die fast ebenso heftig wie hochfahrend war, in ihr Gegenteil verkehrt hätten, wenn nicht in diesem Augenblicke Kathinka ihr bis dahin mit der schönen Matuschka geführtes Gespräch abgebrochen und zwei Taburetts, für sich und ihren Plauderpartner, in den Halbkreis, zwischen Lewin und Bninski, hineingeschoben hätte.
»Welche Blasphemien, Graf!« wandte sich Kathinka an diesen. »Sollte man doch meinen, wenn man den Ton Ihrer Worte vor Gericht stellen könnte, daß Sie geneigt seien, den Ring für ein überflüssiges Ding in der Weltgeschichte zu halten. Aber darin irren Sie. Nichts ohne Ring. Nicht wahr, Herr von Jürgaß?«
»Sans doute«, sagte dieser, der, ohne Furcht dadurch anzustoßen, das fast zum Zankapfel gewordene Wort wiederholen durfte. »Ich stimme Fräulein Kathinka bei: nichts ohne Ring! Um ihn dreht sich alles in Leben, Sage, Geschichte; der liebste war mir immer der des Polykrates, denn ich schätze Leute, die Glück haben. Nun haben wir auch noch die Ballade dazu. Mit Hilfe eines Ringes vermählte sich der Bischof seiner Kirche, der Doge dem Meere und selbst Heinrich VIII. seinen sechs Frauen, dieser geniale Hasardeur mit dem six-le-va. Beiläufig, eine Kollektivausstellung seiner sechs Trauringe müßte zu sonderbaren Betrachtungen führen.«
»O nichts von diesem König Oger, der es vergessen zu haben schien, daß unschuldige Frauen auch eines natürlichen Todes sterben können.«
»Aber Anne Bulen, meine Gnädigste, war überführt.«
»Ach, ich bitte Sie, Jürgaß, haben Sie je von einer überführten Frau gehört? Ich glaube gar, Sie wollen ernsthaft seinen Verteidiger machen; da hätt' ich Sie doch für galanter gehalten. Erzählen Sie mir lieber von besseren Ringen als von den sechs Trauringen König Heinrichs.«
»Dann kann ich nur noch von den drei Ringen der Puttkamers erzählen.«
»Sie scherzen. Von den Tudors auf die Puttkamers! Das ist denn doch ein Sprung. Im übrigen bin ich neugierig genug. Was ist es damit? Aber es muß etwas Heiteres sein.«
»Ich weiß nicht. Es beginnt gleich damit, daß diese drei Ringe nur noch zwei sind. Und diese zwei sind wieder unsichtbar.«
»Oh, das ist ein guter Anfang; etwas gespenstisch. Aber wir haben ja noch früh. Also nur weiter.«
»Nun gut. Es waren also drei Ringe, die die Wichtelmännchen oder die ›kleinen Leute‹ oder die Unterirdischen den Puttkamers zum Geschenke machten, vor langen, langen Jahren, als Pommern eben fertig geworden war.«
»Wann war das?«
»Sagen wir hundert Jahre nach Fertigwerdung der Mark; diese Differenz müssen Sie meinem Lokalpatriotismus zugute halten. Also die Puttkamers hatten ihre drei Ringe, die sie, so hatten die Wichtelmännchen gesprochen, wahren und in Ehren halten sollten, das würde dem Hause Glück und Segen bringen. Und es kam auch Segen ins Haus, namentlich an Kindern, bis plötzlich, niemand weiß wie, der eine Ring verlorenging und der Segen sich minderte.«
»Ah!« sagte Tubal.
»Sie sagen ›Ah‹ und atmen auf«, fuhr Jürgaß fort. »Die Puttkamers aber mochten auf den Segen nicht verzichten. Und weil sie sicher gehen wollten, so baute der reichste von ihnen ein schönes Schloß, und in den Schloßturm hinein, da wo die Wände am dicksten sind, vermauerte er die beiden verbliebenen Ringe. Und da sind sie noch und bergen wie sich selbst, so auch das Glück des Hauses.«
Das Fräulein von Bischofswerder, das bis dahin steif und unbeweglich auf dem Sofaplatz gesessen hatte, hatte, während Jürgaß sprach, immer lebhafter und zustimmender ihr Kinn an den Hals gedrückt. Jetzt nahm sie das Wort: »Auch wir hatten einen solchen Ring«, sagte sie, »der der Sage nach das Glück der Familie begründen sollte.«
»Und es wohl auch begründet hat«, unterbrach die alte Exzellenz. »Es war, denk' ich, der Geisterring Ihres Herrn Vaters, der die Lebendigen einschläferte und die Toten zitierte.«
»Gewiß«, erwiderte die Bischofswerder, die bei diesem Hohn ihre sonstige Devotion hinschwinden fühlte, »gewiß, Exzellenz. Und unter diesen Toten befanden sich ganze Familien, die ohne den Ring meines Vaters immer tot geblieben wären. Ist nicht die Dankbarkeit auch eine deutsche Tugend, Graf Bninski?«
Dieser, einigermaßen überrascht, von so unerwarteter Seite her seine Ketzereien unterstützt zu sehen, verbeugte sich gegen die Bischofswerder, während der Geheimrat von dem Gedanken geängstigt, die kaum erst überstandene Gefahr in neuer Gestalt heraufziehen zu sehen, sich mit der Frage an Lewin wandte: »Was war es doch, Lewin, mit dem Bredowschen Erbringe, von dem du mir vor Weihnachten erzähltest? Nur der Eindruck ist mir geblieben. Ich hört' es gerne noch einmal. Exzellenz Reale wird es gestatten, und Kathinka, die so lebhaft für Ringe plädiert, muß dir dankbar sein, etwas zur Verherrlichung ihres Themas zu hören.«
»Gewiß«, bemerkte diese, »ich würde schon dankbar sein, unseren schweigsamen Freund sich überhaupt an unserem Gespräche beteiligen zu sehen, doppelt, wenn es in Verteidigung des Ringes und seiner welthistorischen Mission geschieht. Denn jedes Ding braucht seinen Mann, und ich wüßte nicht, was besser zusammenpaßte als ein Ring und Vetter Lewin. Vor allem, wenn es ein Trauring ist. Es ist ein stiller, natürlicher Bund zwischen beiden, und es ließe sich ein Märchen darüber schreiben; ja, ich glaube, ich könnte es, unpoetisch wie ich bin. Ich würde den Trauring als einen kleinen runden, in seiner Mitte ausgehöhlten König auffassen, der alle guten Leute beherrscht, die Ehrbaren und die Tugendsamen. Und an den Stufen seines Thrones stände sein erster Minister, als ehrbarster und tugendsamster, und er hieße Lewin.«
Lewin wurde blaß und rot, faßte sich aber rasch und sagte ruhig: »Nach einer Charakterschilderung wie dieser werd' ich mich freilich der an mich ergangenen Aufforderung nicht entziehen können, um so weniger, als es von König Pharaos Tagen her zu den Aufgaben und Vorrechten eines Tugendministers gehört, Träume zu deuten und Geschichten zu erzählen. Und so beginn' ich denn:
Es war also wirklich ein Erbring, breit und mit allerhand Zeichen, und eine junge Frau von Bredow, deren Eheherr, Josua von Bredow, Rittmeister und Amtshauptmann von Lehnin war, trug ihn am Ringfinger der linken Hand. Den Winter über lebte das junge Paar in der kleinen Perleberger Garnison, wenn aber der Mai kam, gingen sie, wie sich's gebührte, nach Lehnin, um in dem geräumigen Abthause, dem einzigen, das aus alten Klostertagen her noch geblieben war, ihre amtshauptmannschaftliche Wohnung und zugleich auch eine Sommerfrische zu nehmen. Das waren dann glückliche Wochen, und sie fuhren nach Plessow, Göttin, Reckahne, um die verschiedenen Rochows, und ebenso nach Groß-Kreuz, um den alten Herrn von Arnstedt zu besuchen, ihr liebstes aber blieb doch immer, an dem schönen Klostersee spazieren zu gehn, besonders wo zwischen Brombeer- und Haselsträuchern hin der Weg über die dicht in Blumen stehende Wiese läuft.«
»Wie hübsch«, sagte Kathinka. »Ich hätte mit von der Partie sein mögen.«
»Und eines Abends«, fuhr Lewin fort, »machten sie wieder ihren Spaziergang, und weil gerade die Hagerosen blühten, wandelte die junge Frau die Lust an, eine derselben zu pflücken. Sie drückte deshalb, um die Rose leichter abreißen zu können, einen dicht umherstehenden Haselstrauch beiseite, aber im selben Augenblicke, wo sie die Linke nach der Rose hin ausstreckte, schlug die stärkste der Haselruten wieder zurück und streifte ihr den Ring vom Finger. Sie sah den goldenen Bogen, den er in der Luft beschrieb, und wie er dann auf den Wiesenstreifen dicht hinter der Hecke niederfiel. Ein leiser Schrei kam über ihre Lippen; dann teilten beide sorglich die Hecke, bückten sich und begannen zu suchen. Sie suchten noch, als schon die Mondsichel am stillen Abendhimmel stand; sie suchten in der Frühe des Morgens und als es Mittag war. Aber umsonst, der Ring war fort. Du wolltest mit von der Partie sein, Kathinka; vielleicht daß deine glückliche Hand ihn gefunden hätte.«
»Keine Diversionen«, lachte diese. »Die Geschichte, die Geschichte.«
»Und mit dem Ringe war das Glück des jungen Paares dahin; nicht langsam und allmählich, sondern unmittelbar. ›Du hättest vorsichtiger sein sollen‹, sagte der Eheherr im Tone des Vorwurfs, und mit diesem Worte war es geschehen. Aus dem ersten Vorwurf wurde der erste Streit, und alles, was den Frieden eines Hauses stören kann, brach in Jahresfrist herein: Krankheit und Kränkung, Mißernten und Eifersucht.«
»Auch Eifersucht? Nicht doch. Du darfst deine Helden nicht mutwillig um die Gunst deiner Hörer bringen.«
»Nur um sie neu zu gewinnen. Allerdings erst für spätere Zeiten.«
»Dann überschlage, was zwischen liegt.«
»So wollt' ich auch. Die silberne Hochzeit war endlich nahe, und Josua von Bredow, der längst den Dienst quittiert und sich auf seine Amtshauptmannschaft in die Lehniner Einsamkeit zurückgezogen hatte, dachte trotz manchen Unfriedens, der nach wie vor in seinem Hause herrschte, den Tag zu feiern. Es waren doch immer fünfundzwanzig Jahre! Er hatte deshalb einen großen Bogen Papier vor sich und schrieb eben die Namen derer auf, die zu dem Tage geladen werden sollten, als ihm Frau von Bredow, die trotz ihrer fünfundvierzig immer noch eine hübsche und stattliche Frau war, über die Schulter sah und auf das bestimmteste forderte, daß der alte Arnstedt, der sich auf dem letzten Potsdamer Ball ungebührlich benommen habe, gestrichen werden sollte.
Eine Szene schien unvermeidlich. Da trat in großer Aufregung die Wirtschafterin ins Zimmer und sagte: ›Gnädiger Herr, da is er; die alte Holtzendorffen hat ihn eben gefunden.‹ Und dabei legte sie eine große Frühkartoffel vor ihn hin, die, beim Ansetzen, mit ihrer Spitze in den goldenen Erbring hineingewachsen war. Da war er also wieder. Die gnädige Mutter Natur gab ihn heraus, und Josua von Bredow und seine geborene von Ribbeck wußten nun, daß wieder bessere Tage kommen würden. Er gab ihr einen Kuß und strich den alten Arnstedt ohne Widerrede aus. Und als in der Woche darauf die silberne Hochzeit wirklich gefeiert wurde, da traten sie zum zweitenmal vor den Altar, und der alte Lehniner Pastor Krokisius, der aber damals noch bei mittlern Jahren war, hielt eine wunderschöne Rede über den Spruch: ›Wen Gott lieb hat, dem müssen alle Dinge zum Besten dienen.‹ Und als seine Rede, denn er konnte sich nicht kurz fassen, endlich zu Ende war, da nahm er die Hand der Silberbraut und steckte den Ring an denselben vierten Finger, von dem ihn die böse Haselrute abgestreift und dadurch eine lange Zwischenzeit des Unfriedens geschaffen hatte. Am Tage nach dieser Feier aber, denn sie mochten sich von ihrem Schatz nicht wieder trennen, ließen sie von Berlin her einen Graveur kommen, der mußte den Tag des Verlustes und des Wiederfindens in den Ring eingraben und die schöne Bibelstelle, über die Pastor Krokisius gepredigt hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heutigen Tages noch.«
Die Gräfin-Exzellenz hatte während der Erzählung mehr und mehr ihre hautaine Haltung abgelegt und tippte jetzt Lewin, wie zur Besiegelung ihrer jungen Freundschaft, mit der Lorgnettenspitze auf die Hand.
Kathinka versprach, sobald sie Königin geworden sein würde, ihn als Traumdeuter und ersten Erzähler an ihren Hof zu ziehen, und nur die Bischofswerder konnte sich nicht darüber beruhigen, daß dieser entzückende Ring gerade in eine Kartoffel hineingewachsen sei, »die Poesie leide darunter«, eine Bemerkung, der Lewin ohne weiteres zustimmte, weil er die Unmöglichkeit einsah, in diesen ästhetischen Anschauungen Licht zu schaffen.
Der alte Geheimrat, seiner Natur entsprechend, verweilte bei Nebensächlichkeiten und wollte namentlich wissen, welcher Bredowschen Linie der Erbring angehört habe. Dann kam er auf Lehnin, verbreitete sich über die Weissagung, deren erste und letzte Zeilen er im lateinischen Original auswendig wußte, und schloß mit einem Seufzer darüber, daß ihm während voller siebzehn Jahre ein Besuch dieser alten Kulturstätte, zugleich des Begräbnisplatzes so vieler Markgrafen und Kurfürsten, versagt geblieben sei.
»Aber warum versagt?« unterbrach ihn Tubal, und ehe der alte Ladalinski antworten konnte, fiel Kathinka mit aller Bestimmtheit ein: »Machen wir die Partie. Wer ist unser Reisemarschall? Tubal, nein; Lewin, zweimal nein. Aber Sie, Herr von Jürgaß! Ich will nicht so viel Menschenkenntnis haben, um einen Attaché von einem Professor zu unterscheiden, wenn Sie nicht der geborene Reisemarschall sind.«
»Ich würde sofort meine Unfähigkeit beweisen, wenn ich widerspräche.«
»Also angenommen?«
»Ja.«
»Und wann?«
»Nicht vor Dienstag. Wir haben in Potsdam Relais; so ist es Zeit, wenn wir um Mittag aufbrechen. Rendezvous: Schöneberg, am ›Schwarzen Adler‹. Zwölf Uhr pünktlich. Au revoir.«
Kleiner Zirkel
Die Einladung zu Ladalinskis hatte auf sechs Uhr gelautet; der alte Geheimrat, wenn er es vermeiden konnte, liebte nicht die späten Zusammenkünfte. So war es denn hohe Zeit für Lewin, sich zu rüsten. Und er tat es; aber nicht in bester Laune. Immer wieder bestürmte ihn die seit Stunden vergebens zurückgedrängte Frage, was Kathinka mit ihrer zweiten, so rätselvoll zugespitzten Einladung eigentlich bezweckt habe, und immer wieder lautete die Antwort: »Kokettes Spiel! Sie bedarf meiner; ich bin ihr wertlos und wertvoll zugleich; sie hält mich wie den Vogel am Faden und gefällt sich darin, den Faden nicht aus der Hand zu lassen.« Das war der Grundton in seiner Betrachtung, in der nur leise Hoffnungsstimmen mitklangen.
Es schlug eben sieben vom Marien- und gleich darauf auch vom Nikolaiturm, als unser Freund in das Ladalinskische Haus eintrat.
Die Gesellschaft war schon versammelt, und zwar in dem uns bekannten kleinen Damenzimmer, das heute, wo statt der rotdämmerigen Ampel eine große und helle Astrallampe brannte, um vieles heiterer wirkte als an jenem Ballabend, der nur zwei große Momente gehabt hatte: die Mazurka und die Nachricht von der Kapitulation.
Kathinka, trotzdem sie beim Eintreten Lewins in einer intimen Flüsterunterhaltung mit der schönen Matuschka war, begrüßte den wie gewöhnlich um eine Stunde zu spät Kommenden mit ebensoviel Unbefangenheit wie Freundlichkeit, und während dieser einen Stuhl nahm, um in den aus Tubal, Bninski, Jürgaß und dem alten Ladalinski gebildeten Halbkreis einzurücken, unterließ sie nicht, über das »Zuspätkommen« der Poeten zu spötteln, das übrigens nicht wundernehmen könne, da die Unpünktlichkeit die Schwester der »Vergeßlichkeit« sei. Dem letzteren Wort gab sie nicht nur einen verstärkten Ton, sondern auch einen besondern Vertraulichkeitsausdruck, als ob sie sich dadurch noch einmal zu dem ganzen Inhalt ihres Vormittagsbilletts, das mit einem leisen Vorwurf über seine »Vergeßlichkeiten« geschlossen hatte, habe bekennen wollen. Er seinerseits unterließ jede Antwort darauf, entweder weil ihn das Spiel verdroß, oder weil er in ebendiesem Augenblicke, vom Sofa her, die beiden großen Kristallgläser der alten, auch heute wieder neben dem Fräulein von Bischofswerder sitzenden Oberhofmeisterin-Exzellenz scharf auf sich gerichtet fühlte, doppelt scharf und böse, weil er sie durch sein verspätetes Eintreffen in einem begonnenen Vortrag unterbrochen hatte. Voll Verlangen, sie, wenn irgend möglich, wieder zu versöhnen, erhob er sich von seinem Stuhl, auf dem er kaum erst Platz genommen hatte, um in etwas wirren Worten eine Entschuldigung zu versuchen; die alte Exzellenz schlug aber mit unverkennbar absichtlichem Geräusch ihre Lorgnette zusammen und lächelte hochmütig, wie um auszudrücken, daß Schweigen und Dulden um vieles schicklicher gewesen sein würde, und fuhr dann, an der Bischofswerder rücksichtslos vorbeisprechend, in ihren Mitteilungen mit schnarrender Stimme fort: »Ich wiederhole Ihnen, lieber Ladalinski, daß Seine Majestät morgen mit dem frühesten Potsdam verlassen werden. Das nächste Nachtquartier wird in Beeskow genommen, einer kleinen Stadt, die besser ist als ihr Ruf; sie hat ein ehemalig bischöfliches Schloß. Die Garden begleiten den König. Tippelskirch hat an Kessels Stelle das Kommando übernommen. Kessel bleibt in Potsdam. Seine Majestät gedenken am 26. in Breslau einzutreffen.«
»Ich empfing eben eine gleichlautende Nachricht von meinem Vater aus Hohen-Vietz«, bemerkte der in seiner Verlegenheit abermals fehlgreifende Lewin und mußte sich – da Blicke wirkungslos bleiben zu sollen schienen – nunmehr eine direkte Reprimande von seiten der alten Gräfin-Exzellenz gefallen lassen.
»Es ist nicht Art der preußischen Oberhofmeisterinnen«, erwiderte dieselbe spitz, »Nachrichten über Seine Majestät den König in Umlauf zu setzen, die noch der Bestätigung bedürfen. Es freut mich indessen, Ihren Herrn Vater so gut unterrichtet zu sehen. Ich bitte, mich ihm bei nächster Gelegenheit in Erinnerung bringen zu wollen. Seine Schwiegermutter, die Generalin von Dumoulin, war eine Jugendfreundin von mir.«
Lewin, der nicht wußte, was er aus diesen Worten machen sollte, in denen sich neben aller Überhebung doch auch wieder ein leiser Anflug von Teilnahme aussprach, hielt es für das geratenste, alles Unliebsame darin zu überhören, und verbeugte sich artig gegen die alte Gräfin, während diese mit Wichtigkeit fortfuhr: »Augereau hat strikten Befehl, sich in bestimmt vorgezeichneten Fällen, namentlich im Fall eines Aufstandes, der Person des Königs zu bemächtigen, und Seine Majestät, die seit länger als drei Wochen von diesem strikten Befehle weiß, würde sich der drohenden Gefahr schon früher entzogen haben, wenn nicht der Wunsch vorgeherrscht hätte, die bevorstehende Konfirmation des Kronprinzen, die nun gestern, wie wir alle wissen, wirklich stattgefunden hat, abzuwarten. Übrigens haben Seine Königliche Hoheit, was Ihnen, lieber Geheimrat, trotz Ihrer Anwesenheit bei der Feier entgangen sein dürfte, zur Erinnerung an diesen hochwichtigen Tag, aus den Händen Seiner Majestät einen kostbaren Ring erhalten.«
»Sans doute«, bemerkte Bninski.
»Sans doute?« wiederholte fragend und gedehnt die alte Oberhofmeisterin, der der spöttische Ton in der hingeworfenen Bemerkung des Grafen nicht entgangen war. »Warum sans doute, Graf Bninski?«
»Weil der Ring«, erwiderte dieser, »das Zeichen ewiger und unverbrüchlicher Treue ist und eine Feier in diesem Lande, am wenigsten eine kirchliche, ohne dieses Zeichen nicht wohl gedacht werden kann.«
Der Geheimrat rückte verlegen hin und her. Es war ihm im höchsten Maße peinlich, in seinem Hause, noch dazu in Gegenwart zweier Damen vom Hofe, Worte fallen zu hören, deren ironische Bedeutung trotz des Ernstes, mit dem sie vorgetragen wurden, niemandem entgehen konnte. Er sah deshalb zu dem Grafen hinüber, ersichtlich bemüht, diesen, wenn nicht zu einem Wechsel des Gesprächs, so doch wenigstens zu einem Wechsel des Tones zu veranlassen. Bninski aber ignorierte diese Bemühungen und fuhr in demselben Tone fort: »Es zählt dies zu den Eigentümlichkeiten deutscher Nation. Immer ein feierliches In-Eid-und-Pflicht-Nehmen, dazu dann ein entsprechendes Symbol, und ich darf sagen, ich würde überrascht sein, wenn dem kostbaren Ringe, den Seine Königliche Hoheit aus den Händen des Königs, seines Vaters, empfangen hat, nicht noch eine direkte Aufforderung zum Treuehalten, entweder in Form einer eingravierten Devise oder eines Bibelspruchs, beigegeben sein sollte. Etwa: ›Sei getreu bis in den Tod‹, oder dem ähnliches.«
Die alte Gräfin preßte die Lippen zusammen. Es war ersichtlich, daß sie schwankte, in welcher Art sie replizieren solle; aber sich rasch für eine versöhnliche Haltung entscheidend, sagte sie mit erzwungener guter Laune: »Ich sehe, Graf, daß Sie von dem Ringe wissen. Wenn durch Inspiration, so beglückwünsche ich Sie und uns. Der innere Rand trägt allerdings die Umschrift: ›Offenbarung Johannis 2. V. 10‹. In diesem Punkte haben Sie recht behalten; aber nicht darin, daß dieser Konfirmationsring eine Hof- oder Landessitte sei. Im Gegenteil; es ist der erste Fall der Art.«
»So wird es Sitte werden. Gute Beispiele pflegen einen fruchtbaren Boden in dem loyalen Sinn des Volkes zu finden.«
Sehr wahrscheinlich, daß die fortgesetzten Sarkasmen Bninskis doch schließlich alle friedlichen Entschlüsse der Oberhofmeisterin, die fast ebenso heftig wie hochfahrend war, in ihr Gegenteil verkehrt hätten, wenn nicht in diesem Augenblicke Kathinka ihr bis dahin mit der schönen Matuschka geführtes Gespräch abgebrochen und zwei Taburetts, für sich und ihren Plauderpartner, in den Halbkreis, zwischen Lewin und Bninski, hineingeschoben hätte.
»Welche Blasphemien, Graf!« wandte sich Kathinka an diesen. »Sollte man doch meinen, wenn man den Ton Ihrer Worte vor Gericht stellen könnte, daß Sie geneigt seien, den Ring für ein überflüssiges Ding in der Weltgeschichte zu halten. Aber darin irren Sie. Nichts ohne Ring. Nicht wahr, Herr von Jürgaß?«
»Sans doute«, sagte dieser, der, ohne Furcht dadurch anzustoßen, das fast zum Zankapfel gewordene Wort wiederholen durfte. »Ich stimme Fräulein Kathinka bei: nichts ohne Ring! Um ihn dreht sich alles in Leben, Sage, Geschichte; der liebste war mir immer der des Polykrates, denn ich schätze Leute, die Glück haben. Nun haben wir auch noch die Ballade dazu. Mit Hilfe eines Ringes vermählte sich der Bischof seiner Kirche, der Doge dem Meere und selbst Heinrich VIII. seinen sechs Frauen, dieser geniale Hasardeur mit dem six-le-va. Beiläufig, eine Kollektivausstellung seiner sechs Trauringe müßte zu sonderbaren Betrachtungen führen.«
»O nichts von diesem König Oger, der es vergessen zu haben schien, daß unschuldige Frauen auch eines natürlichen Todes sterben können.«
»Aber Anne Bulen, meine Gnädigste, war überführt.«
»Ach, ich bitte Sie, Jürgaß, haben Sie je von einer überführten Frau gehört? Ich glaube gar, Sie wollen ernsthaft seinen Verteidiger machen; da hätt' ich Sie doch für galanter gehalten. Erzählen Sie mir lieber von besseren Ringen als von den sechs Trauringen König Heinrichs.«
»Dann kann ich nur noch von den drei Ringen der Puttkamers erzählen.«
»Sie scherzen. Von den Tudors auf die Puttkamers! Das ist denn doch ein Sprung. Im übrigen bin ich neugierig genug. Was ist es damit? Aber es muß etwas Heiteres sein.«
»Ich weiß nicht. Es beginnt gleich damit, daß diese drei Ringe nur noch zwei sind. Und diese zwei sind wieder unsichtbar.«
»Oh, das ist ein guter Anfang; etwas gespenstisch. Aber wir haben ja noch früh. Also nur weiter.«
»Nun gut. Es waren also drei Ringe, die die Wichtelmännchen oder die ›kleinen Leute‹ oder die Unterirdischen den Puttkamers zum Geschenke machten, vor langen, langen Jahren, als Pommern eben fertig geworden war.«
»Wann war das?«
»Sagen wir hundert Jahre nach Fertigwerdung der Mark; diese Differenz müssen Sie meinem Lokalpatriotismus zugute halten. Also die Puttkamers hatten ihre drei Ringe, die sie, so hatten die Wichtelmännchen gesprochen, wahren und in Ehren halten sollten, das würde dem Hause Glück und Segen bringen. Und es kam auch Segen ins Haus, namentlich an Kindern, bis plötzlich, niemand weiß wie, der eine Ring verlorenging und der Segen sich minderte.«
»Ah!« sagte Tubal.
»Sie sagen ›Ah‹ und atmen auf«, fuhr Jürgaß fort. »Die Puttkamers aber mochten auf den Segen nicht verzichten. Und weil sie sicher gehen wollten, so baute der reichste von ihnen ein schönes Schloß, und in den Schloßturm hinein, da wo die Wände am dicksten sind, vermauerte er die beiden verbliebenen Ringe. Und da sind sie noch und bergen wie sich selbst, so auch das Glück des Hauses.«
Das Fräulein von Bischofswerder, das bis dahin steif und unbeweglich auf dem Sofaplatz gesessen hatte, hatte, während Jürgaß sprach, immer lebhafter und zustimmender ihr Kinn an den Hals gedrückt. Jetzt nahm sie das Wort: »Auch wir hatten einen solchen Ring«, sagte sie, »der der Sage nach das Glück der Familie begründen sollte.«
»Und es wohl auch begründet hat«, unterbrach die alte Exzellenz. »Es war, denk' ich, der Geisterring Ihres Herrn Vaters, der die Lebendigen einschläferte und die Toten zitierte.«
»Gewiß«, erwiderte die Bischofswerder, die bei diesem Hohn ihre sonstige Devotion hinschwinden fühlte, »gewiß, Exzellenz. Und unter diesen Toten befanden sich ganze Familien, die ohne den Ring meines Vaters immer tot geblieben wären. Ist nicht die Dankbarkeit auch eine deutsche Tugend, Graf Bninski?«
Dieser, einigermaßen überrascht, von so unerwarteter Seite her seine Ketzereien unterstützt zu sehen, verbeugte sich gegen die Bischofswerder, während der Geheimrat von dem Gedanken geängstigt, die kaum erst überstandene Gefahr in neuer Gestalt heraufziehen zu sehen, sich mit der Frage an Lewin wandte: »Was war es doch, Lewin, mit dem Bredowschen Erbringe, von dem du mir vor Weihnachten erzähltest? Nur der Eindruck ist mir geblieben. Ich hört' es gerne noch einmal. Exzellenz Reale wird es gestatten, und Kathinka, die so lebhaft für Ringe plädiert, muß dir dankbar sein, etwas zur Verherrlichung ihres Themas zu hören.«
»Gewiß«, bemerkte diese, »ich würde schon dankbar sein, unseren schweigsamen Freund sich überhaupt an unserem Gespräche beteiligen zu sehen, doppelt, wenn es in Verteidigung des Ringes und seiner welthistorischen Mission geschieht. Denn jedes Ding braucht seinen Mann, und ich wüßte nicht, was besser zusammenpaßte als ein Ring und Vetter Lewin. Vor allem, wenn es ein Trauring ist. Es ist ein stiller, natürlicher Bund zwischen beiden, und es ließe sich ein Märchen darüber schreiben; ja, ich glaube, ich könnte es, unpoetisch wie ich bin. Ich würde den Trauring als einen kleinen runden, in seiner Mitte ausgehöhlten König auffassen, der alle guten Leute beherrscht, die Ehrbaren und die Tugendsamen. Und an den Stufen seines Thrones stände sein erster Minister, als ehrbarster und tugendsamster, und er hieße Lewin.«
Lewin wurde blaß und rot, faßte sich aber rasch und sagte ruhig: »Nach einer Charakterschilderung wie dieser werd' ich mich freilich der an mich ergangenen Aufforderung nicht entziehen können, um so weniger, als es von König Pharaos Tagen her zu den Aufgaben und Vorrechten eines Tugendministers gehört, Träume zu deuten und Geschichten zu erzählen. Und so beginn' ich denn:
Es war also wirklich ein Erbring, breit und mit allerhand Zeichen, und eine junge Frau von Bredow, deren Eheherr, Josua von Bredow, Rittmeister und Amtshauptmann von Lehnin war, trug ihn am Ringfinger der linken Hand. Den Winter über lebte das junge Paar in der kleinen Perleberger Garnison, wenn aber der Mai kam, gingen sie, wie sich's gebührte, nach Lehnin, um in dem geräumigen Abthause, dem einzigen, das aus alten Klostertagen her noch geblieben war, ihre amtshauptmannschaftliche Wohnung und zugleich auch eine Sommerfrische zu nehmen. Das waren dann glückliche Wochen, und sie fuhren nach Plessow, Göttin, Reckahne, um die verschiedenen Rochows, und ebenso nach Groß-Kreuz, um den alten Herrn von Arnstedt zu besuchen, ihr liebstes aber blieb doch immer, an dem schönen Klostersee spazieren zu gehn, besonders wo zwischen Brombeer- und Haselsträuchern hin der Weg über die dicht in Blumen stehende Wiese läuft.«
»Wie hübsch«, sagte Kathinka. »Ich hätte mit von der Partie sein mögen.«
»Und eines Abends«, fuhr Lewin fort, »machten sie wieder ihren Spaziergang, und weil gerade die Hagerosen blühten, wandelte die junge Frau die Lust an, eine derselben zu pflücken. Sie drückte deshalb, um die Rose leichter abreißen zu können, einen dicht umherstehenden Haselstrauch beiseite, aber im selben Augenblicke, wo sie die Linke nach der Rose hin ausstreckte, schlug die stärkste der Haselruten wieder zurück und streifte ihr den Ring vom Finger. Sie sah den goldenen Bogen, den er in der Luft beschrieb, und wie er dann auf den Wiesenstreifen dicht hinter der Hecke niederfiel. Ein leiser Schrei kam über ihre Lippen; dann teilten beide sorglich die Hecke, bückten sich und begannen zu suchen. Sie suchten noch, als schon die Mondsichel am stillen Abendhimmel stand; sie suchten in der Frühe des Morgens und als es Mittag war. Aber umsonst, der Ring war fort. Du wolltest mit von der Partie sein, Kathinka; vielleicht daß deine glückliche Hand ihn gefunden hätte.«
»Keine Diversionen«, lachte diese. »Die Geschichte, die Geschichte.«
»Und mit dem Ringe war das Glück des jungen Paares dahin; nicht langsam und allmählich, sondern unmittelbar. ›Du hättest vorsichtiger sein sollen‹, sagte der Eheherr im Tone des Vorwurfs, und mit diesem Worte war es geschehen. Aus dem ersten Vorwurf wurde der erste Streit, und alles, was den Frieden eines Hauses stören kann, brach in Jahresfrist herein: Krankheit und Kränkung, Mißernten und Eifersucht.«
»Auch Eifersucht? Nicht doch. Du darfst deine Helden nicht mutwillig um die Gunst deiner Hörer bringen.«
»Nur um sie neu zu gewinnen. Allerdings erst für spätere Zeiten.«
»Dann überschlage, was zwischen liegt.«
»So wollt' ich auch. Die silberne Hochzeit war endlich nahe, und Josua von Bredow, der längst den Dienst quittiert und sich auf seine Amtshauptmannschaft in die Lehniner Einsamkeit zurückgezogen hatte, dachte trotz manchen Unfriedens, der nach wie vor in seinem Hause herrschte, den Tag zu feiern. Es waren doch immer fünfundzwanzig Jahre! Er hatte deshalb einen großen Bogen Papier vor sich und schrieb eben die Namen derer auf, die zu dem Tage geladen werden sollten, als ihm Frau von Bredow, die trotz ihrer fünfundvierzig immer noch eine hübsche und stattliche Frau war, über die Schulter sah und auf das bestimmteste forderte, daß der alte Arnstedt, der sich auf dem letzten Potsdamer Ball ungebührlich benommen habe, gestrichen werden sollte.
Eine Szene schien unvermeidlich. Da trat in großer Aufregung die Wirtschafterin ins Zimmer und sagte: ›Gnädiger Herr, da is er; die alte Holtzendorffen hat ihn eben gefunden.‹ Und dabei legte sie eine große Frühkartoffel vor ihn hin, die, beim Ansetzen, mit ihrer Spitze in den goldenen Erbring hineingewachsen war. Da war er also wieder. Die gnädige Mutter Natur gab ihn heraus, und Josua von Bredow und seine geborene von Ribbeck wußten nun, daß wieder bessere Tage kommen würden. Er gab ihr einen Kuß und strich den alten Arnstedt ohne Widerrede aus. Und als in der Woche darauf die silberne Hochzeit wirklich gefeiert wurde, da traten sie zum zweitenmal vor den Altar, und der alte Lehniner Pastor Krokisius, der aber damals noch bei mittlern Jahren war, hielt eine wunderschöne Rede über den Spruch: ›Wen Gott lieb hat, dem müssen alle Dinge zum Besten dienen.‹ Und als seine Rede, denn er konnte sich nicht kurz fassen, endlich zu Ende war, da nahm er die Hand der Silberbraut und steckte den Ring an denselben vierten Finger, von dem ihn die böse Haselrute abgestreift und dadurch eine lange Zwischenzeit des Unfriedens geschaffen hatte. Am Tage nach dieser Feier aber, denn sie mochten sich von ihrem Schatz nicht wieder trennen, ließen sie von Berlin her einen Graveur kommen, der mußte den Tag des Verlustes und des Wiederfindens in den Ring eingraben und die schöne Bibelstelle, über die Pastor Krokisius gepredigt hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heutigen Tages noch.«
Die Gräfin-Exzellenz hatte während der Erzählung mehr und mehr ihre hautaine Haltung abgelegt und tippte jetzt Lewin, wie zur Besiegelung ihrer jungen Freundschaft, mit der Lorgnettenspitze auf die Hand.
Kathinka versprach, sobald sie Königin geworden sein würde, ihn als Traumdeuter und ersten Erzähler an ihren Hof zu ziehen, und nur die Bischofswerder konnte sich nicht darüber beruhigen, daß dieser entzückende Ring gerade in eine Kartoffel hineingewachsen sei, »die Poesie leide darunter«, eine Bemerkung, der Lewin ohne weiteres zustimmte, weil er die Unmöglichkeit einsah, in diesen ästhetischen Anschauungen Licht zu schaffen.
Der alte Geheimrat, seiner Natur entsprechend, verweilte bei Nebensächlichkeiten und wollte namentlich wissen, welcher Bredowschen Linie der Erbring angehört habe. Dann kam er auf Lehnin, verbreitete sich über die Weissagung, deren erste und letzte Zeilen er im lateinischen Original auswendig wußte, und schloß mit einem Seufzer darüber, daß ihm während voller siebzehn Jahre ein Besuch dieser alten Kulturstätte, zugleich des Begräbnisplatzes so vieler Markgrafen und Kurfürsten, versagt geblieben sei.
»Aber warum versagt?« unterbrach ihn Tubal, und ehe der alte Ladalinski antworten konnte, fiel Kathinka mit aller Bestimmtheit ein: »Machen wir die Partie. Wer ist unser Reisemarschall? Tubal, nein; Lewin, zweimal nein. Aber Sie, Herr von Jürgaß! Ich will nicht so viel Menschenkenntnis haben, um einen Attaché von einem Professor zu unterscheiden, wenn Sie nicht der geborene Reisemarschall sind.«
»Ich würde sofort meine Unfähigkeit beweisen, wenn ich widerspräche.«
»Also angenommen?«
»Ja.«
»Und wann?«
»Nicht vor Dienstag. Wir haben in Potsdam Relais; so ist es Zeit, wenn wir um Mittag aufbrechen. Rendezvous: Schöneberg, am ›Schwarzen Adler‹. Zwölf Uhr pünktlich. Au revoir.«