Woyzeck - Zimmer 1. Szene by Georg Bchner Lyrics
Zimmer.
Der Hauptmann. Woyzeck
Hauptmann auf einem Stuhl. Woyzeck rasirt ihn.
Hauptmann. Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem Andern. Er macht mir ganz schwindlich. Was soll ich denn mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut’ zu früh fertig wird? Woyzeck! bedenk’ Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahre zu leben! Dreißig Jahr! macht dreihundert und sechzig Monate und erst wie viel Tage, Stunden, Minuten! Was will Er denn mit der ungeheueren Zeit all anfangen? Theil Er sich ein, Woyzeck!
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann!
Hauptmann. Es wird mir ganz Angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig, das ist ewig! - Das sieht Er ein. Nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick! - Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tage herumdreht. Was für eine Zeitverschwendung! - wo soll das hinaus? So geschwind geht Alles! - Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd’ melancholisch!
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann!
Hauptmann. Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, thut Alles langsam … Red’ Er doch was, Woyzeck Was ist heut für Wetter?
Woyzeck Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm. Wind!
Hauptmann. Ich spür’s schon, ’s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect, wie eine Maus. (Pfiffig.) Ich glaub’, wir haben so was aus Süd-Nord?
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! ha! ha! O Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! (Gerührt.) Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, aber (mit Würde), Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er? Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, „ohne den Segen der Kirche“ - das Wort ist nicht von mir.
Woyzeck Herr Hauptmann! Der liebe Gott wird den armen Wurm nicht d’rum ansehen, ob das Amen darüber gesagt ist, eh’ er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen!
Hauptmann. Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz confus mit seiner Antwort. Wenn ich sage: Er, so meine ich Ihn, Ihn …
Woyzeck Wir arme Leut! Sehen Sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld! Wer kein Geld hat! - Da setz’ einmal einer Seinesgleichen auf die moralische Art in die Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut! Unsereins ist doch einmal unselig in dieser und der anderen Welt! Ich glaub’, wenn wir in den Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.
Hauptmann. Woyzeck! Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg’, wenn’s geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh’, wie sie über die Gasse springen — verdammt! Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab’ auch Fleisch und Blut! Aber Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? — ich sag’ mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch!
Woyzeck Ja, Herr Hauptmann, die Tugend — ich hab’s noch nicht so aus. Seh’n Sie, wir gemeine Leut’ — das hat keine Tugend; es kommt einem nur so die Natur. Aber wenn ich ein Herr wär und hätt’ einen Hut und eine Uhr und ein Augenglas und könnt’ vornehm reden, ich wollt’ schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann, aber ich bin ein armer Kerl.
Hauptmann. Gut, Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber Er denkt zu viel, das zehrt; Er sieht immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich angegriffen. Geh’ Er jetzt, und renn Er nicht so, geh’ Er langsam, hübsch langsam die Straße hinunter, genau in der Mitte!
Der Hauptmann. Woyzeck
Hauptmann auf einem Stuhl. Woyzeck rasirt ihn.
Hauptmann. Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem Andern. Er macht mir ganz schwindlich. Was soll ich denn mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut’ zu früh fertig wird? Woyzeck! bedenk’ Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahre zu leben! Dreißig Jahr! macht dreihundert und sechzig Monate und erst wie viel Tage, Stunden, Minuten! Was will Er denn mit der ungeheueren Zeit all anfangen? Theil Er sich ein, Woyzeck!
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann!
Hauptmann. Es wird mir ganz Angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig, das ist ewig! - Das sieht Er ein. Nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick! - Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tage herumdreht. Was für eine Zeitverschwendung! - wo soll das hinaus? So geschwind geht Alles! - Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd’ melancholisch!
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann!
Hauptmann. Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, thut Alles langsam … Red’ Er doch was, Woyzeck Was ist heut für Wetter?
Woyzeck Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm. Wind!
Hauptmann. Ich spür’s schon, ’s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect, wie eine Maus. (Pfiffig.) Ich glaub’, wir haben so was aus Süd-Nord?
Woyzeck Ja wohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! ha! ha! O Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! (Gerührt.) Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, aber (mit Würde), Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er? Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, „ohne den Segen der Kirche“ - das Wort ist nicht von mir.
Woyzeck Herr Hauptmann! Der liebe Gott wird den armen Wurm nicht d’rum ansehen, ob das Amen darüber gesagt ist, eh’ er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen!
Hauptmann. Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz confus mit seiner Antwort. Wenn ich sage: Er, so meine ich Ihn, Ihn …
Woyzeck Wir arme Leut! Sehen Sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld! Wer kein Geld hat! - Da setz’ einmal einer Seinesgleichen auf die moralische Art in die Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut! Unsereins ist doch einmal unselig in dieser und der anderen Welt! Ich glaub’, wenn wir in den Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.
Hauptmann. Woyzeck! Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg’, wenn’s geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh’, wie sie über die Gasse springen — verdammt! Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab’ auch Fleisch und Blut! Aber Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? — ich sag’ mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch!
Woyzeck Ja, Herr Hauptmann, die Tugend — ich hab’s noch nicht so aus. Seh’n Sie, wir gemeine Leut’ — das hat keine Tugend; es kommt einem nur so die Natur. Aber wenn ich ein Herr wär und hätt’ einen Hut und eine Uhr und ein Augenglas und könnt’ vornehm reden, ich wollt’ schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann, aber ich bin ein armer Kerl.
Hauptmann. Gut, Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber Er denkt zu viel, das zehrt; Er sieht immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich angegriffen. Geh’ Er jetzt, und renn Er nicht so, geh’ Er langsam, hübsch langsam die Straße hinunter, genau in der Mitte!