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Wilhelm Tell - Kapitel 12 by Friedrich Schiller Lyrics

Genre: misc | Year: 2015

Rudolf der Harras:
Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder Knabe,
Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.

Walther Fürst beiseite zu Melchtal, der kaum seine Ungeduld bezwingt:
Haltet an Euch, ich fleh Euch drum, bleibt ruhig.

Berta zum Landvogt:
Lasst es genug sein Herr! Unmenschlich ist's,
Mit eines Vaters Angst also zu spielen.
Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben
Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!
Er hätte jetzt zehnfachen Tod empfunden.
Entlasst ihn ungekränkt in seine Hütte,
Er hat Euch kennen lernen, dieser Stunde
Wird er und seine Kindeskinder denken.

Gessler:
Öffnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?
Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich töten,
Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick
In deine eigne kunstgeübte Hand.
Der kann nicht klagen über harten Spruch,
Den man zum Meister seines Schicksals macht.
Du rühmst dich deines sichern Blicks! Wohlan!
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen,
Das Ziel ist würdig und der Preis ist gross!
Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer, der ist mir der Meister,
Der seiner Kunst gewiss ist überall,
Dem's Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.
Walther Fürst wirft sich vor ihm nieder:
Herr Landvogt, wir erkennen Eure Hoheit,
Doch lasset Gnad vor Recht ergehen, nehmt
Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz,
Nur dieses Grässliche erlasset einem Vater!

Walther Tell:
Grossvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,
Der Vater trifft den Vogel ja im Flug,
Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.

Stauffacher:
Herr Landvogt, rührt Euch nicht des Kindes Unschuld?

Rösselmann:
O denket, dass ein Gott im Himmel ist,
Dem Ihr müsst Rede stehn für Eure Taten.

Gessler zeigt auf den Knaben:
Man bind ihn an die Linde dort!

Walther Tell:
Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will
Stillhalten, wie ein Lamm und auch nicht atmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ich's nicht,
So werd ich toben gegen meine Bande.
Rudolf der Harras:
Die Augen nur lass dir verbinden, Knabe.

Walther Tell:
Warum die Augen? Denket Ihr, ich fürchte
Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
Erwarten, und nicht zucken mit den Wimpern.
– Frisch Vater, zeig's, dass du ein Schütze bist,
Er glaubt dir's nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wütrich zum Verdrusse, schiess und triff.

Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.

Melchtal zu den Landleuten:
Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen
Vollenden? Wozu haben wir geschworen?

Stauffacher:
Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen,
Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.

Melchtal:
O hätten wir's mit frischer Tat vollendet,
Verzeih's Gott denen, die zum Aufschub rieten!

Gessler zum Tell:
Ans Werk! Man führt die Waffen nicht vergebens.
Gefährlich ist's, ein Mordgewehr zu tragen,
Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.
Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,
Beleidigt den höchsten Herrn des Landes.
Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.
Freut's Euch, den Pfeil zu führen und den Bogen,
Wohl, so will ich das Ziel Euch dazu geben.
Tell spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf:
Öffnet die Gasse!, Platz!

Stauffacher:
Was Tell? Ihr wolltet – Nimmermehr – Ihr zittert,
Die Hand erbebt Euch, Eure Kniee wanken –

Tell lässt die Armbrust sinken:
Mir schwimmt es vor den Augen!

Weiber:
Gott im Himmel!

Tell zum Landvogt:
Erlasset mir den Schuss. Hier ist mein Herz!

                       Er reisst die Brust auf.

Ruft Eure Reisigen und stosst mich nieder.

Gessler:
Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuss.
– Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du,
Das Steuerruder führst du wie den Bogen,
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt,
Jetzt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!

Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit beiden Händen zuckend, und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller. Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.

Walther Tell unter der Linde:
Vater schiess zu, ich fürcht mich nicht.

Tell:
Es muss!

               Er rafft sich zusammen und legt an.

Rudenz der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten tritt hervor:

Herr Landvogt, weiter werdet Ihr's nicht treiben,
Ihr werdet nicht – Es war nur eine Prüfung –
Den Zweck habt Ihr erreicht – Zu weit getrieben
Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,
Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen.

Gessler:
Ihr schweigt, bis man Euch aufruft.

Rudenz:
Ich will reden,
Ich darf's, des Königs Ehre ist mir heilig,
Doch solches Regiment muss Hass erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht – Ich darf's
Behaupten – Solche Grausamkeit verdient
Mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.

Gessler:
Ha, Ihr erkühnt Euch!

Rudenz:
Ich hab stillgeschwiegen
Zu allen schweren Taten, die ich sah,
Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen,
Mein überschwellend und empörtes Herz
Hab ich hinabgedrückt in meinen Busen.
Doch länger schweigen wär Verrat zugleich
An meinem Vaterland und an dem Kaiser.

Berta wirft sich zwischen ihn und den Landvogt:
O Gott, Ihr reizt den Wütenden noch mehr.

Rudenz:
Mein Volk verliess ich, meinen Blutsverwandten
Entsagt ich, alle Bande der Natur
Zerriss ich, um an Euch mich anzuschliessen –
Das Beste aller glaubt' ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht befestigte –
Die Binde fällt von meinen Augen – Schaudernd
Seh ich an einen Abgrund mich geführt –
Mein freies Urteil habt Ihr irrgeleitet,
Mein redlich Herz verführt – Ich war daran,
Mein Volk in bester Meinung zu verderben.

Gessler:
Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?

Rudenz:
Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr – Frei bin ich
Wie Ihr geboren, und ich messe mich
Mit Euch in jeder ritterlichen Tugend.
Und stündet Ihr nicht hier in Kaisers Namen,
Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,
Den Handschuh wärf ich vor Euch hin, Ihr solltet
Nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.
– Ja winkt nur Euren Reisigen – Ich stehe
Nicht wehrlos da, wie die – Auf das Volk zeigend: Ich hab ein Schwert,
Und wer mir naht –

Stauffacher ruft:
Der Apfel ist gefallen!

Indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Berta zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.

Rösselmann:
Der Knabe lebt!

Viele Stimmen:
Der Apfel ist getroffen!

Walther Fürst schwankt und droht zu sinken, Berta hält ihn.

Gessler erstaunt:
Er hat geschossen? Wie? der Rasende!

Berta:
Der Knabe lebt! kommt zu Euch, guter Vater!

Walther Tell kommt mit dem Apfel gesprungen:
Vater, hier ist der Apfel – Wusst ich's ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.

Tell stand mit vorgebognem Leib, als wollt er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt.

Berta:
O güt'ger Himmel!

Walther Fürst zu Vater und Sohn:
Kinder! meine Kinder!

Stauffacher:
Gott sei gelobt!

Leuthold:
Das war ein Schuss! Davon
Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.

Rudolf der Harras:
Erzählen wird man von dem Schützen Tell,
Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.
Reicht dem Landvogt den Apfel.

Gessler:
Bei Gott! der Apfel mitten durchgeschossen!
Es war ein Meisterschuss, ich muss ihn loben.

Rösselmann:
Der Schuss war gut, doch wehe dem, der ihn
Dazu getrieben, dass er Gott versuchte.

Stauffacher:
Kommt zu Euch, Tell, steht auf, Ihr habt Euch männlich
Gelöst, und frei könnt Ihr nach Hause gehen.

Rösselmann:
Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.
Sie wollen ihn wegführen.

Gessler:
Tell, höre!

Tell kommt zurück:
Was befiehlt Ihr, Herr?

Gessler:
Du stecktest
Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,
Ich sah es wohl – Was meintest du damit?

Tell verlegen:
Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.

Gessler:
Nein, Tell, die Antwort lass ich dir nicht gelten,
Es wird was anders wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell,
Was es auch sei, dein Leben sichr' ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?

Tell:
Wohlan, o Herr,
Weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert,
So will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen.

Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an.

Mit diesem zweiten Pfeil durchschoss ich – Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Eurer – wahrlich! hätt ich nicht gefehlt.

Gessler:
Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,
Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –
Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,
Will ich dich führen lassen und verwahren,
Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,
Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.
Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!

                               Tell wird gebunden.

Stauffacher:
Wie, Herr?
So könntet Ihr an einem Manne handeln,
An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?

Gessler:
Lass sehn, ob sie ihn zweimal retten wird.
– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach
Sogleich, ich selbst will ihn nach Küssnacht führen.

Rösselmann:
Ihr wollt ihn ausser Lands gefangen führen?

Landleute:
Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!

Gessler:
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst
Muss erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –
Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,
Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld,
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.

Er entfernt sich, Berta, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Friesshardt und Leuthold bleiben zurück.

Walther Fürst in heftigem Schmerz:
Es ist vorbei, er hat's beschlossen, mich
Mit meinem ganzen Hause zu verderben!

Stauffacher zum Tell:
O warum musstet Ihr den Wütrich reizen!

Tell:
Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!

Stauffacher:
O nun ist alles, alles hin! Mit Euch
Sind wir gefesselt alle und gebunden!

Landleute umringen den Tell:
Mit Euch geht unser letzter Trost dahin!

Leuthold nähert sich:
Tell, es erbarmt mich – doch ich muss gehorchen.

Tell:
Lebt wohl!

Walther Tell sich mit heftigem Schmerz an ihn schmiegend:
O Vater! Vater! Lieber Vater!

Tell hebt die Arme zum Himmel:
Dort droben ist dein Vater! den ruf an!

Stauffacher:
Tell, sag ich Eurem Weibe nichts von Euch?

Tell hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust:
Der Knab ist unverletzt, mir wird Gott helfen.

          Reisst sich schnell los und folgt den Waffenknechten.